Donnerstag, 28. Juni 2007

Paradise Now

Heute mal was anderes: Carla macht einen Ausflug nach Hangzhou, bekannt für den wunderschönen Westsee und den Longjing-Tee! Der grosse Tag beginnt nach nicht mal vier Stunden Schlaf mit der Feststellung, dass ich keine achtzehn mehr bin und Jägermeister und Tequila nicht meine Freunde sind. Ich beeile mich, komme aber trotzdem zwanzig Minuten zu spät und verkatert zum Treffpunkt mit chinesischen Bekannten, Fangjuans Freunden. Mir ist es jetzt doch etwas peinlich, zumal ich den Ausflug und die frühe Zeit vorgeschlagen habe. Die so geschaffene unangenehme Grundstimmung wird nicht dadurch verbessert, dass der Zug nach Hangzhou ausgebucht ist. Ich frage mich, wie ein Zug ausverkauft sein kann, aber anscheinend ist das eine vorbeugende chinesische Massnahme, gar nicht mal so unklug bei den urlaubshungrigen Massen.

Landschaft, genauso wie man sie sich vorstellt: der weite See mit kleinen Reetbooten, dieAlso nehmen wir den Bus, den ich ohne die beiden nie gefunden hätte – wenn man kein Chinesisch spricht, gibt es Hürden, die man kaum nehmen kann (oder die Wissen, Zeit und Nerven fordern). In Hangzhou braucht es noch mal einen Bus und ein Taxi, bis wir endlich am Westsee angelangt sind. Der Westsee war oftmals ein Vorbild fuer chinesische Tuschezeichnungen, viele haben von ihm geschwärmt. Tatsächlich ist es eine wunderschöne über das Wasser zischen, kleine Inseln mit traditionellen chinesischen Häusern, schattige Wege unter Bambus und knorrigen Bäumen, grün bewaldete, sanft geschwungene Berge und die bekannte Liuhe-Pagode.

Wie das hierzulande bekannte chinesische Sprichwort sagt: Im Himmel gibt es das Paradies, auf Erden Hangzhou.

Leider sind wir nicht die einzigen auf der Suche nach dem irdischen Paradies, und der bis dato heisseste und schwülste Tag wirkt sich nicht grad positiv auf meinen Kater aus und macht den Aufstieg zur Pagode beschwerlich. Zum Glück ist in den Steinweg eine Rolltreppe eingelassen, und in der Pagode gibt es einen Fahrstuhl, es lebe der Fortschritt! Die Pagode wurde einst zerstört und wieder aufgebaut, allerdings nicht hundert pro authentisch. Doreen ist davon enttäuscht: auch mir gefallen echte alte Bauwerke besser, wenn ich auch zugeben muss, dass die Kopie gut ist.

Nach dem Essen (hiesige Spezialität: Hähnchen im Seerosenblatt) gleiten wir mit einem Boot zu den Inseln hinueber. Ich vermisse eine klare Sicht, denn es ist ein diesiger Tag, die Spitzen der Berge und Waelder verschwinden hinter der weissen Dunstschicht. Es verleiht dem Ort jedoch eine mysteriöse, beinahe unwirkliche Ausstrahlung.

Die Leute auf dem Boot neben uns winken mir fröhlich zu, ich grüsse zurück. (Auch auf einer der Inseln passiert es mir, dass zwei Chinesen ein Foto mit mir machen wollen – ich bin eine besoffene Touristenattraktion!) Auf der ersten Insel kaufen wir uns Eis und Fächer; ich sehe sogar einige Männer, die sich Luft zufächeln, was hier kaum weibisch, sondern bei der Hitze absolut notwendig ist! Die zweite Insel ist noch schöner, denn sie hat Binnenseen. Wie die Beschreibung sagt, ein See in der Insel im See.

Das Ausflugstrio vor dem legendären Westsee samt Lihue-Pagode im Hintergrund

Dann sind wir unschlüssig: Ich möchte gern das Teemuseum im Teeanbaugebiet in der Nähe sehen, da der Longjing-Tee aus dieser Gegend weithin bekannt ist – Doreens Freund möchte jedoch lieber den berühmten Tempel sehen. Doreen meint, ich würde ja bald wieder nach Deutschland fahren, während sie noch öfters nach Hangzhou kommen könnten; also wird beschlossen, dass wir ins Teemuseum gehen. Das erweist sich als schlechte Idee, denn es gibt keinen direkten Bus dorthin und kein Taxifahrer will uns mitnehmen. Für sie ist es zu nah, um mit der Fahrt gut zu verdienen, für uns hingegen zu weit zum Laufen. Später erfahre ich, dass der Tempel ganz in unserer Nähe war – und ich entschuldige mich, das wäre weit besser gewesen. Wir machen Witze über die Taxifahrer und dass extra für uns alles geschlossen wird. Doreen fragt mich: “Bist du enttäuscht, dass du das Teemuseum nicht sehen konntest?” – “Ein wenig. Aber weisst du, so hat man immer einen Grund, zurückzukommen.”

Nach einem kurzen Spaziergang auf der anderen Seite des Sees besuchen wir die kleine Altstadt: kleine Stände, antike Häuserfassaden, ein Laden mit chinesischer Medizin, ein Goldbuddha und ein traditionelles Teehaus erwarten uns.

Im holzvertäfelten Teehaus sind die Kellner sehr typisch, bis an die Grenze zum Klischee gekleidet: Blaue Uniform mit rundem Hütchen und langen Zopf hinten. Ich trinke den mehrfach erwähnten Longjing-Tee (kann allerdings keinen Unterschied ausmachen), während Doreen und ihr Freund einen anderen lokalen Tee ausprobieren, der kalt serviert wird. Ich hätte gedacht, dass diese für mich neue Entdeckung (kalter Tee) meinen chinesischen Bekannten vermutlich geläufig ist, aber auch die beiden sind erstaunt, ebenso über die unerwartete Action: Die Kellner machen das Eingiessen zur Performance, wirbeln die Giesskannen ähnlichen goldenen Teebehälter kunstfertig in der Luft herum, garnieren dies mit wohlkalkulierten tänzerischen Bewegungen und giessen den Tee dann ueber den Rücken oder von oben in einer Art Vogelposition in die Tasse. Wir bestellen mehrmals einen neuen Wasseraufguss und staunen jedes Mal.

Teehaus und Kellner in traditionellem Gewand: Theater oder Wirklichkeit?

Die Zeit drängt – unser Zug fährt ab. Ich würde diesen Ort gern noch einmal besuchen, denn die Zeit war zu knapp und der Tag zu heiss, um Hangzhou vollends schätzen und geniessen zu koennen. Es entspricht meinem Aufenthalt in China: Ich kann nicht alles sehen und kennen lernen, viele Wuensche bleiben unerfüllt. Aber ich kann einen Eindruck, den Hauch eines Geschmacks von dem Leben hier gewinnen und eine Weile davon zehren. Am Ende kann man ohnehin nicht mehr als Erinnerungen und Träume im Gepäck mit sich führen, und den festen Wunsch, zurückzukehren.

Sonntag, 10. Juni 2007

Inventur!

Was mache ich also in der Galerie? Neben der Kundenbetreuung - vor allem sonntags, wenn ich und die chinesische Kollegin nur zu zweit sind – ist meine Hauptaufgabe Ordnung schaffen! Wenn die wüssten, wen sie sich da ins Haus geholt haben… Meine Kölner WG und meine Eltern rollen sich jetzt wahrscheinlich auf dem Boden vor Lachen.

Zwei meiner Kollegen: Qiu Hoa, der für das Auktionshaus arbeitet, und Li Jun, der Topfotograf, sich mittlerweile eine Auszeit genommen hat, um zu malen

Ich hingegen sollte kurz nach Beginn für die Inventur verantwortlich sein. Nicht so einfach, wenn man die Namen der Künstler noch nicht besonders gut kennt, Bilder nicht sofort identifizieren kann (am besten noch eine Serie mit sehr ähnlich aussehenden Werken!) und die Sachen überall in der Galerie verteilt sind.

Die meisten Programme im Computer sind auf chinesisch und machen jeden Arbeitstag von neuem zu einem Erlebnis. Am besten ist es, wenn ich aus Versehen irgendeinen Knopf gedrückt habe und wieder meine chinesische Kollegin fragen muss: “Kate, I think I just hit some button again… and this screen just popped up… can you please have a look, I don’t know what it says!”


Für das Foto möchte ich Arbeitswut und strebsame Emsigkeit simulieren, aber irgendwie betrachte ich meinen chinesischsprachigen Computer mit derselben Distanzierung und Verwirrung wie immer - vielleicht werden wir doch noch Freunde, auch wenn wir uns nicht verstehen!

(Ich habe mich auch schon immer gefragt, wie man chinesische Zeichen in den Computer eingibt: Nach Befehl zum Zeichenmodus schreibt man in der Pinyin-Umschrift, z.B. He Yunchang, und der Computer wandelt dies dann automatisch in die Schriftzeichen um.)

Zum Glück ist der Werkkatalog nicht auf Chinesisch, sonst hätte mich die Inventur richtig ins Schwitzen gebracht. Aber auch so war es schon nervenaufreibend genug: Mit hehrer Kunst im Wert von jeweils mehreren tausend Euro herumzuhantieren entspricht nicht meiner Vorstellung einer entspannten Arbeitswoche: Heute sind umgerechnet 100.000 Euro durch meine Hände gegangen! Was Börsenmagnaten das unwiderstehliche Gefühl von Macht verleiht, beschert mir nur Magengrummeln.

Nun weiss ich, warum ich Theater so mag: Da kann man nicht so viel kaputtmachen. Vielleicht stört mal jemand an einem Abend die Aufführung, aber was solls, dann spielt man einfach weiter. Und hat am nächsten Tag eine neue Chance. Aber wehe, wenn du bildende Kunst fallen lässt, kurz falsch anpackst, Schrammen oder Dellen verursachst! Schon schlimm genug, wenn man den Abzug einer limitierten Fotoserie oder den Abguss einer Skulpturedition beschädigen würde – doch ein Gemälde ist unwiederbringlich!

Mit diesen Gedanken im Sinn traue ich mich kaum, irgend etwas zu berühren. Die Inventur hat zudem noch einen seltsamen Effekt auf mich: Kunst wird zur Alltäglichkeit. Man kann sie anfassen und kaufen. Frueher waren Kunstwerke für mich magisch, unbezahlbar und jenseits aller irdischen Zuordnungen. Hier zwänge ich alles brav in Titel, Künstlername, Herstellungsdatum, signiert / nicht signiert, zu verkaufen / nicht zu verkaufen / verkauft / geliehen…
Kunst ist Ware und muss als solche katalogisiert warden. Es hat eine Weile gedauert, bis ich diese “Kommerzialisierungsphase” überwunden habe und jetzt nicht mehr denke: Wie breit und hoch? Wann angefertigt? Wer? Was für eine Edition und Nummer? Jetzt sehe ich wieder Kunst.

Zu der Katalogisierung kamen allerdings auch die Bilder: Fotografieren macht natürlich Spass. Mit einer hochwertigen Kamera um den Hals fühlt man sich gleich 10 Grad cooler. Ich bin ein Kommentator! Dokumentator! Ich fange das Zeitgenössische ein! Klick! Klick! Klick!
Und dann hat man ein verwackeltes, unscharfes Bild in der Kamera und ist gleich viel weniger cool. Ein Bild von einem Bild zu machen, ce n'est pas une pipe, das ist keine Pfeife! Aber ich habe auch ein paar richtig gute gemacht.

Und neben der Büroarbeit gibt es auch immer einige Highlights, wie zum Beispiel die Eröffnung einer neuen Ausstellung jeden Monat (!) und neulich sogar die erste Auktion!

Freitag, 8. Juni 2007

Working Girl

Ich habe bisher recht wenig über mein Praktikum geschrieben - bis auf die Einführung, da könnte man leicht den Verdacht hegen, ich würde meine Zeit hier eher in Bars, Clubs, Parks oder wer weiss wo verbringen, aber tatsächlich bin ich tagsüber sehr fleissig. Oder versuche es zu sein.

Das morgendliche Szenario sieht meistens so aus: Die Franzosen sind entweder schon auf dem Weg zur Arbeit oder sitzen frisch geduscht im Wohnzimmer/Gemeinschaftsraum auf dem Sofa und checken schon ihre Mails, arbeiten am Computer an ihrer Junior Consulting Company und unterhalten sich mit ihrer chinesischen Sprachpartnerin.

Die Deutsche kriecht total verschlafen im Chewbacca-Look aus ihrem Zimmer und verschwindet im Bad, von wo aus sie später geduscht, aber nicht grade geschniegelt in die Küche rudert, um etwas Essbares abzugreifen. Mal wieder viel zu spät und schon leicht verschwitzt (wofür eigentlich die Dusche?) rennt sie zur U-Bahn und marschiert danach strammen Schrittes vom Hauptbahnhof zur Galerie.

Schliesslich gelange ich zur Moganshan Lu 50: In diesem Art District findet man Galerien, Ausstellungen, Ateliers, alles zum Künstlerbedarf und zur Rahmenanfertigung, Buchläden und Cafés. Mittlerweile hat sich auch das eine oder andere Modegeschäft hinzugesellt – der Kunstdistrikt hat sich allmählich zum Tipp für Touristen entwickelt. Tatsächlich sind die meisten Galeristen nicht aus China – die Top-Galerie ShanghArt wird beispielsweise von einem Schweizer geleitet, das Art Scene Warehouse von einem Kanadier und einem Amerikaner. Mein Chef ist einer der wenigen Chinesen und Künstler, die hier eine Galerie leiten; ansonsten gibt es in meiner Galerie noch eine chinesische und eine englische Kollegin sowie den italienischen Manager.

Eingang zur Moganshan Lu 50, State of Art

Was auffällig ist: Die meisten unserer Kunden kommen auch aus dem Ausland, Amerika, Europa, Australien. Chinesen mit Geld investieren lieber in traditionelle chinesische Kunst und Antiquitäten. Sie interessieren sich zwar sehr für moderne Kunst, aber es hat fuer sie noch nicht den Wert eines Sammlerobjekts oder Statussymbols. Kunstkritiker meinen jedoch, dass die nächste Generation, die im Ausland studiert und dort eine Begeisterung für die dortige zeitgenössische Kunst entwickelt, dann auch chinesische Kunst kaufen wird.

Insgesamt finde ich den Kunstbetrieb hier sehr angenehm. Ich habe mittlerweile von Kollegen oft gehört, dass es andernorts schwieriger ist, fuer Galeristen wie fuer Kunden. Galeristen muessen härter daran arbeiten und viel feinfühliger vorgehen, um Kundschaft für sich zu gewinnen – dafür haben sie oft nur wenige Sekunden.
Hier nehmen sich die Galeriebesucher Zeit, sich alle Bilder genau anzusehen und vielleicht auch mit den Galeristen darueber zu sprechen.

Auch für den Besucher ist es freundlicher: In Deutschland habe ich als Student nie einen Fuss in eine Galerie gesetzt, da ich immer gedacht habe, eine Galerie ist kein Museum. Dort wird Kunst verkauft und nicht gezeigt. Wenn man kein potentieller Kunde ist, hat man dort auch nichts zu suchen. Vielleicht ist das nur mein persönlicher Eindruck von der Galerieszene, vielleicht hätte ich es mal ausprobieren sollen. Allerdings habe ich mir zumindest von einem Amerikaner sagen lassen, dass die Szene in New York / Chelsea schon sehr exklusiv ist.
Hier darf der Besucher sich in Ruhe umschauen, egal ob er Sammler, Student, oder Tourist ist. Nach einer Weile wird er angesprochen und man erzählt ihm etwas über die Ausstellung, wenn er Fragen hat.

Damit sind wir auch schon bei der Frage, die ich bereits öfters gehört habe: Was genau machst du dort eigentlich?


Wein trinken! Finissage der Ausstellung von Island 6 in lauschiger abendlicher Stimmung

Dienstag, 29. Mai 2007

Auktion

Ahnungslos wie immer: Ich habe noch nie eine Auktion mitgemacht. Als bisherige Studentin auch kein Wunder, denn wie soll das gehen, nach dem Motto, heut verfeuer ich die Miete, denn wer braucht schon eine Wohnung, wenn man ein Gemälde haben kann?
Aber Menschen sind Jäger und Sammler, und nichts ist so aufregend wie das Erlebnis, jemand anderem grad ein exklusives Kunstwerk abgejagt zu haben (für Studenten gibt es immerhin den Flohmarkt, zum Trost!).
Meine Galerie veranstaltet also ihre erste Auktion. Da alles möglichst professionell wirken soll, gibt es eine Extra-Auktionsfirma, die mit der Galerie verbunden ist und alles die Auktion Betreffende organisiert; ausserdem wird beschlossen, dass die Toilette renoviert werden soll.
Ersteres führt dazu, dass wir von der Galerie zu Beginn keine Ahnung haben, wie alles ablaufen soll und den Fragen etwaiger Besucher hilflos ausgesetzt sind. Das zweite, die Renovierung, fängt gleichzeitig mit der Vorschau für die Auktion an. Die Interessenten sehen sich die ausgestellten Kunstwerke unter lautem Gehämmer, Geklopfe und Gebohre an, während wir sie anbrüllen, ob wir ihnen vielleicht helfen können oder sie einen Katalog möchten.


Zhang Tiemei, Chinese Opera No. 19: Gemälde ohne Geräuschkulisse! Waehrend der Auktion wurde eines der zwei Bilder verkauft, danach sind noch weitere der Serie an einem Tag weggegangen wie Freibier.

Dennoch, nichts anmerken lassen, Form wahren! Die Auktion selbst soll relativ schnell vonstatten gehen; bei mir meldet sich natürlich das Verlangen nach Show. Ich frage, warum es denn keine kurze Präsentation des jeweiligen Künstlers und Werkes gibt, aber das nähme zuviel Zeit in Anspruch (bei 115 Werken!) und sei nicht üblich. Wer mehr wissen wolle, könne den Katalog zu Rate ziehen.

Liu Rentao, Sunrise Impressed. Hier kann man mal sehen, wie die westliche Kunst die chinesische Szene inspiriert: Ein chinesische Landschaft mit einem Helikopter aus modernen Zeiten im Stil Monets!

Mein Verlangen nach Show soll aber noch Folgen haben: Ich hatte ja schon zuvor berichtet, dass ich mich scheue, die Werke anzufassen, da ich von kleinauf mein Faible fuer Missgeschicke unter Beweis gestellt habe, oder wie eine Freundin von mir sagte: "Ich hab schon öfters Kaffee fliegen sehen." Leider stehe ich direkt daneben, als mein Chef den Manager beauftragt, hinter den Kulissen zu stehen und die Bilder rauszutragen: "Und Carla kann ja auch mithelfen." - Ich sehe mich schon in Gedanken mit einem megateuren Kunststück hinknallen: "Um... ja, aber die sind doch so wertvoll, soll ich da wirklich..." - "Kein Problem, du bekommst Handschuhe." Was natürlich das oben angedachte Problem total löst.

Es wird auch nicht besser, als der Auktionator alles auf Chinesisch anpreist und wir hinter den Kulissen zuerst keine Ahnung haben, welches Bild wir grad zeigen sollen. Ich trage gemessenen Schrittes die ersten Werke hinaus, zum Vergnügen eines Freundes total asynchron zur Ankündigung, und blicke leicht verschwitzt in die Runde: Wer möchte bitte ein Bild von diesem unglücklich aussehenden Maedchen kaufen? Und klar, ich darf auch das Bild mit dem höchsten Schätzwert raustragen: Ein Hase von Liu Xiaodong, der das bis dato höchstversteigerte Werk chinesischer zeitgenössischer Kunst gemalt hat. Dementsprechend hoch steht auch der Hase im Kurs, und ich trage wahnsinnige 70.000 Euro (in Worten: Siebzigtausend) über die Bühne.

Zum ersten, zum zweiten, zum dritten: Hier kommt die zeitgenössische chinesische Kunst unter den Hammer!

Aber nicht nur für mich ist das Ganze nervenaufreibend: Mein Mitbewohner sitzt im Publikum, fährt sich mit der Hand durchs Haar und wird sofort vom Auktionator fixiert. Schockiert reisst er sofort die Hand runter, um bloss nicht als Mitbieter zu gelten. Das passiert ihm noch ein zweites Mal.

Am Ende bin ich sehr stolz, da ich alles unversehrt präsentiert und sicher an seinen Platz zurückgebracht habe. Der Erfolg der Auktion hingegen war nicht so wie erhofft: Zwar wurde einiges versteigert, doch nicht der geplante Schnitt erzielt. Die Werbung war jedoch super, es kommen immer wieder Leute und fragen nach noch nicht verkauften Bildern oder wollen andere Werke derselben Künstler. Man wird vielleicht nicht von heute auf morgen Sotheby's oder Christies's, aber: Art sells. Always.

Shanghai bei Nacht

Sobald die Sonne untergeht, entflieht das bunte Treiben der Strassen Shanghais nach und nach in die Garküchen, Restaurants, Bars und Clubs. Diesem Sog kann man sich nicht entziehen, dieses Nachtleben macht süchtig nach mehr!
Ein Donnerstagabend in Shanghai: Mein Mitbewohner Max, Sophie und ich treffen uns zunächst im Restaurant Azul und beginnen den Abend mit einem erlesenen Tapas-Menü: Auf blütenweissen Tischdecken werden uns Austern, Shrimps-Salat mit Avacado, Carpaccio nebst Rotwein und anderen Delikatessen serviert. Dazu kredenzen wir selbst Klatsch und Tratsch.
Von diesem feinen Etablissement begeben wir uns in die gegenüberliegende schmierige Spelunke, da es dort einen Billardtisch gibt! Allerdings zögern wir zunächst einzutreten - Sophie hegt den Verdacht, dass sich bei dieser Location um eine Prostituierten-Bar handelt.
Ich betrachte das Ganze naiv wie immer und denke, ok, die Mädels sind zwar ein bisschen zu schick für den schäbigen Laden angezogen, aber vielleicht kennen sie den Besitzer und wollen einfach ein bisschen Stimmung machen...
Letztendlich heisst es Hauptsache Bier und Billard, also hinein. Max schaut sich kurz um: "Ah, ich glaube, es ist genau, was du gedacht hast, Sophie..."

Dieses Foto habe ich in einer anderen Strasse voll mit diesen bestimmten Bars geschossen - auch wenn man die Leuchtschrift nicht so gut lesen kann, die Farbe ist unmissverständlich: Willkommen im Puff "Hilda"!

Was die anderen Leute da gemacht haben, weiss ich nicht - wir haben jedenfalls zwei züchtige Billardspielchen absolviert und ich habe mal wieder unter Beweis gestellt, knapp daneben ist auch vorbei.
Als nächstes wieder ab ins Taxi, dem nächtlichen Fortbewegungsmittel, und von der Französischen Konzession streben wir dem anderen Event-Distrikt entgegen: dem sogenannten Bund, der Riesenstrasse entlang des Huangpu-Flusses.
Carla: "In welche Bar gehen wir denn?" Max: (antwortet etwas, das wie "Larry's" klingt). Ich stelle mir das also wie eine leicht ranzige Kneipe mit verrauchtem Holz und alter Theke vor, eine Mischung aus American Sportsbar und Irish Pub vielleicht, und denke, ah ja, ein nettes Bierchen bei Larry...
Dort angekommen entpuppt sich der joviale Larry als "Laris" mit gefliestem Boden, Marmordekor, stylisher Beleuchtung, weiss-edlen Sitzgelegenheiten und schmuck gekleideten Gästen. Meine erste Befangenheit wird schnell durch das Tagesangebot beiseite gefegt: zwei Martinis zum Preis von einem!










Max an der wunderschön angeleuchteten Glasbar und Sophie auf der Tanzfläche
Zumal Martini nicht gleich Martini ist: Ob üblich für Shanghai oder China, hier wird er als Fruchtcocktail geliefert. Ich entscheide mich für Mint-Orange und Lychee (Litschi?) und bin mit jedem Schluck im Himmel. Dann machen wir eine Weile die Tanzfläche unsicher; in meinem Elan erwische ich das Glas von Max' temporärem Schwarm und biete ihr einen neuen Martini an. Leider verträgt sie den Alkohol nicht mehr so gut, und der Abend ist leider schnell vorbei.
Nach kurzen Gewissensbissen ziehen wir weiter in die legendäre Bar Rouge mit Dachterasse und einer atemberaubenden Aussicht über den Bund. Sophie zeigt mir den Oriental Pearl Tower von diesem speziellen Perspektive aus: "When I saw this the first time, I wondered, is that really phallic or is it just my mind?" Ich sehe mir das Gebilde mit einer kleinen Kugel am Ende des langen Turms und zwei grossen unten genau an: "No, I'm afraid it's not your mind, Sophie." Und das Wahrzeichen Shanghais strahlt uns fröhlich mit schillernden Farben von der anderen Seite des Flusses entgegen.








Dachterrasse mit Ausblick - the place to be, Bar Rouge
Ein kurzer Stunt an der Bar und auf dem Parkett, dann werden die Lampen aufgedreht, und die Dunkelheit vom Licht verdrängt: Hier endet unsere Nacht für heute. Aber morgen ist auch noch ein Tag... und eine neue Nacht.

Wer sind wir?

Wenn man ins Ausland geht, erfährt man nicht nur etwas über die Heimat anderer, sondern auch über sein eigenes Land. Man lernt, mit den Augen der anderen zu sehen - auch sich selbst. Was denken die Chinesen eigentlich über die Deutschen?

Zu dieser Frage kommt natürlich die passende Rahmenveranstaltung: Zum 100jährigen Bestehen der Tongji-Universität veranstaltet die deutsche Fakultät einen chinesisch-deutschen Abend, zu dem Christian mich eingeladen hat. So schmuggle ich mich inkognito unter die Tongji-Eleven und erlebe einige Überraschungen.

Ich wappne mich für lange Reden von den Honorationen, aber diese halten sich kurz: Der Abend soll vor allem im Zeichen der Studenten und der Unterhaltung stehen! Auch die Moderation wird von vier Studenten (darunter Christian) übernommen, die zwischendurch erzählen, warum sie Shanghai gewählt haben und Chinesisch studieren bzw. wo sie schon in Deutschland waren und warum sie Deutsch studieren. Die Antworten wurden natürlich ETWAS vorbereitet, sind aber dennoch erstaunlich: Die Chinesen lieben nicht nur die deutsche Kultur, sondern besonders die späteren Möglichkeiten in der Wirtschaft machen dieses Studium so attraktiv. Das Riesenland China mit ungeahnten wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Ressourcen nimmt unser vergleichsweise niedliches kleinen Domizil als Vorbild, nun ja, das sollten mal alle Pessimisten hören, die immer noch meinen, Deutschland sei auf dem absteigenden Ast und könne eh nirgends mehr mithalten... Und so schlimm die Kulturkürzungen auch sind: Wir sind immer noch ein Land, in der sich auch Kleinstädte ein eigenes Theater leisten können - was bei uns Status Quo ist, gibt es anderwo oft nicht mal!


Aber heute Abend widmen wir uns nicht Wirtschaft und Finanzen oder "German Angst" und Pessimismus, sondern der Kultur: Violinenspiel, zweisprachige Peking-Oper, Theaterstücke -und Popmusik.

Hierbei sind die Grenzen fliessend: Ein eher massig gebauter Chinese singt auf deutsch das klassische Musikstück von der Forelle, so zärtlich und OHNE Akzent, dass mir der Kiefer runterklappt. Christian und sein Chor erfüllen die Aula zunächst mit deutschen, dann wunderschönen chinesischen Klängen; eine andere deutsche Gruppe rockt das Publikum mit einem chinesischen Hit; und ein weiterer chinesischer Deutschstudent bietet ein Lied von den Prinzen dar. Besonders beliebt sind anscheinend Märchen: die Chinesen spielen uns unter anderem Rotkäppchen und der böse Wolf sowie den Froschkönig vor.

Märchen ist das Stichwort, denn hier erlebe ich nicht nur China aus deutscher Sicht, sondern sehe auch Deutschland vom chinesischen Blickwinkel aus. Mein Kollege Qiu Hoa sagte mir einmal: "Für uns Chinesen ist es ein Traum, ins Ausland zu gehen. Es ist wie ein Märchen." Für uns ist China mit seiner jahrtausendalten Kultur und wundersamen Andersartigkeit ein exotisches, geheimsnisvolles Land - und man kann sich kaum vorstellen, dass sie unser Land vielleicht so ähnlich sehen.
Was uns allzu bekannt, alltäglich und selbstverständlich scheint, kommt für sie aus einer anderen Welt und hat eine magische Wirkung auf sie. Und erst mit ihren Augen kann man sie erkennen.
So seltsam es auch klingt: Die Ferne bringt einen dem eigenen Land wieder näher.

Nächtliche Magie im alten China: Hier sind die Bäume nicht lediglich zu Werbezwecken oder zu Weihnachten mit Lichtern geschmückt, sondenr leuchten dir immer

Dienstag, 22. Mai 2007

Ernst ist das Leben, heiter die Kunst

Nach der vorherigen Erzählung: Es war einmal eine Party... kommen wir jetzt wieder zum Kultur-Teil. Ying Fangjuan arbeitet auch in einer Galerie und hat mich zur Eröffnung der neuen Austellung eingeladen, die am Nachmittag vor der römischen Party stattfinden. Ich war vorher schon einmal dort, als noch Bilder im klassischen Stil dort zu sehen waren:



Noble Ausstattung: Dunkles Mobiliar, Teppich, Kronleuchter und ein Flügel zur musikalischen Untermalung

Ich komme gerade noch rechtzeitig zur Eröffnung an und stehe neben Fangjuan (im Chinesischen werden die Nachnamen zuerst genannt) strategisch günstig am Buffet, als eine elegante Dame mit ihrer Rede beginnt - von der ich leider wieder nichts verstanden habe. Der Maler Hsia Yan ist ein älterer netter Herr, der wie ein chinesischer Peter Ustinov aussieht und sich kurz, aber freundlich für das Interesse bedankt.

Fangjuan versorgt mich sofort mit einem Glas Wein und Hors d' oeuvres, die wohlfeile Formulierung für 'Häppchen' bei besonderen Anlässen - es gibt Obst und unglaublich leckeren Kuchen, wer würde da nicht gern zu einer Eröffnung gehen... Zu den Klängen von Klaviermusik betrachten wir die Bilder: Der Künstler steht in der Tradition der chinesischen Tuschezeichnungen, was den Hintergrund betrifft, doch seine Pinselführung in den Details ist eher modern. Mit wenigen, fedrigen Strichen malt er Pferde, die über das Feld zu fliegen scheinen, spiralenförmig angeordnete Linien ergeben ein Gesicht, und kleine ausgeschnittene Partikel ergeben Blumenfelder und Tischgedecke wie ein Mosaik.

Die Bilder sind in ihrem schlichten Konzept und ihrer vorsichtig-liebevollen Anordnung der Details wie traditionelle chinesische Malerei in modernem Gewand. Neben einer eigenwilligen Interpretation der Mona Lisa findet man auch Selbstportraits und die Darstellungen chinesischer Legenden. Auf einem Bild sieht man eine Frau und zwei Männer: Fangjuan versucht, mir die Geschichte zu erklären (anscheinend ist sie etwas kompliziert). Obwohl ich es nicht wissen kann, errate ich durch die Ausstrahlung, dass es sich um eine Dreiecksgeschichte mit Ehemann und Liebhaber handelt. Manche Signale sind vermutlich universell, und der Maler hat es subtil, aber auch für mich lesbar dargestellt. Das andere Bild ist die Legende eines Feuerregens, der die Erde zerstört. Im Vordergrund sieht man die Göttin, welche die Flammen löscht und den Schaden anschliessend behebt.

Mit künstlerischer Kollegin Ying Fangjuan vor dem Bild einer chinesischen Berglandschaft. Was ich so stolz festhalte, ist der Katalog mit Signatur des Künstlers.

Das Bild, vor dem wir hier stehen, ist mir ein Rätsel: Rechts unten, am Ende dieser chinesischen Felsenlandschaft, geht ein Mann im Anzug mit einem Koffer entlang. Kein blosses Landschaftsbild? Doch wenn ein Mensch, warum kein Mönch, kein Reisender, kein Geniesser? Warum ein Businessmann mit Aktenkoffer, der in dieser monumentalen, ruhigen Darstellung Signale der Hektik aussendet?

Ich hätte den Maler fragen sollen. Vielleicht hat der Finanzier keine Zeit für entspannende Landschaftsbetrachtungen und kehrt der Schönheit den Rücken? Oder im Gegenteil, er wendet sich von dem zerklüfteten hohen Berg ab, er muss diesen unerreichbaren Gipfel nicht mehr erklimmen. Oder ist er ein moderner Sisyphus, der statt eines Felsens den Aktenkoffer als Bürde hat und zudem auch noch in die falsche Richtung geht?

Manchmal merkt man erst viel später, dass man sich falsche Lasten auferlegt und nicht den richtigen Weg eingeschlagen hat, dass man nicht jeden Berg, den man sieht, auch erklimmen muss, um ihn zu begreifen. Das ist nur meine Interpretation, doch das ist vielleicht ein Ziel der Kunst: Eine verborgene Saite in jedem Menschen anrühren, ihm die Augen für das öffnen, was er selbst nicht sieht und nicht erkennt. Darum ist der einzige Mensch, in dem man sich auf dem Bild wiedererkennen kann, ein Mensch mit Aktenkoffer auf dem Weg ins Nichts: Denn das ist der moderne Mensch.

Ein Abend in Rom

Der moderne Jetsetter, ob in Anzug oder in kleinem Schwarzen, geht eleganten, doch schnell gemessenen Schrittes den Flughafen entlang, das Handy als Handverlängerung stets am Ohr. So gelangt er von der chinesischen Metropole Shanghai direkt nach bella Italia, nach Rom.
Der Zeitreisende steigt in sein nach jahrelanger Tüftelei hergestelltes Gefährt, ob es nun ein Auto ist, das exakt bei der Geschwindigkeit von 88 mph vom Blitz getroffen werden muss oder eine H.G. Wells nachempfundene Maschine, und schon ist er im alten Rom.
Wer weder Jetsetter noch Mechaniker ist, zieht sich einfach ein Bettlaken über, vielleicht noch einen Lorbeerkranz und ein Schwert dazu und voilà, schon sind wir im alten Rom!

Letztes Wochenende hat meine WG eine Motto-Party geschmissen, um drei Geburtstage zu feiern! Ich erinnere mich noch gut an eine gewisse Bad-Taste-Party, bei der ich ein Kostüm anhatte wie die Nanny aus der Fernsehserie... Diesmal habe ich allerdings ein Laken in Blau gewählt (Weiss war nur im Mehrfachpack zu bekommen) und als Brosche ein Geschenk - wie nennt man das?- eine Geschenkbandkreation angeheftet. Allerdings sah ich dann tatsächlich aus wie ein schlecht verpacktes und etwas krude eingewickeltes Geschenk (ich hatte mit der Einkleidung ein wenig Schwierigkeiten). Die meisten haben sich allerdings richtig toll kostümiert, bis auf ein paar Spalter haben sich alle in Schale geschmissen:


Passend zur Deko das Poster mit Maoisten und China-Karte im Hintergrund. Ich bin diejenige hinten in Blau, der gerade das Bier eingeflösst wird.

Die meisten Leute kannte ich vorher noch nicht so gut, aber wozu gibt's denn Alkohol... Nein, ich habe mich jedenfalls mit ein paar Freunden meiner Mitbewohner gut unterhalten und sie etwas besser kennengelernt. Qiu Hoa und Ying Fangjuan sind auch kurz vorbeigekommen, und so habe ich einen schönen Abend in Italien verbracht. Dazu habe ich jedoch thematisch unpassendes Curry gekocht (Indien?), aber Thibault hat Nudelsalat gemacht, das gab's damals bestimmt auch!


Meine netten französischen Mitbewohner: François, Maxime und Thibault, der grad eine Vision von den Iden des März hat

(François sitzt in diesem Moment hier und hat mir eröffnet, dass er und Maxime jetzt zur Kirche gehen. Ich war ein wenig unsicher, ob das ein Scherz sein sollte, da ich es mir von diesen harten Partymachern nicht ganz vorstellen konnte. Doch wie heisst es so schön: Trinke und bete!)

Zurück zur Party: Es gibt nichts Besseres als einen Balkon in einer lauen Shanghaier Frühlingsnacht, ausserdem man kann lernen, wie man Zigaretten am Gasherd anzündet, Mika "Relax, take it easy" und "Wouldn't it be nice" von den Beach Boys laufen zusammen mit anderen Liedern mindestens 10mal in der Endlosschleife, obwohl die Jungs einen Wahnsinns-Musikvorrat haben, und kurzfristig schliessen sich Leute in der Küche ein (normalerweise ist es das Bad).
Nachdem ich dachte, mein Vorgänger hat was dagegen, dass ich jetzt in seinem Zimmer wohne, standen wir anschliessend vertraut nebeneinander in der Küche. Und hatten, wie es so üblich ist, eins von diesen tiefsinnigen Partygesprächen über Gott und die Welt, wo man sich mit mehr Alkohol gegenseitiger Sympathien versichert - und sich anschliessend noch mal ins Nachtleben stürzt!

Mit einer kleinen Gruppe von Auserwählten haben wir uns also auf eine abenteuerliche Taxifahrt auf der Suche nach einer geheimnisvollen Party-Location begeben: Pier One, ein Club direkt am Suzhou-Fluss. Auf dem Weg zum Eingang geht man auf Docks über das Wasser, und was für ein Ausblick: Von der Sessel-Lounge sieht man direkt auf den friedlich vor sich hintreibenden Fluss. Wir merken allerdings recht schnell, dass die Nacht sich schon dem Ende zuneigt: Ein paar Leute schlafen in den edlen weissen Sesseln, auf der Tanzfläche ist Platz, und man bekommt sofort Getränke! Aber solange die Musik noch geht, geht immer was! Also rauf aufs Parkett!

Zu später Stunde will ich noch grosse Gespräche führen und entfalte gegenüber Dominik die Art von Philosophien, wie sie nur extrem angetrunkenen Menschen zueigen ist: "Ja, und dann musst du einfach, weil, geht ja auch nicht anders, man sollte sowieso nicht immer, das machen ja eh zuviele, und früher ist mir das auch immer passiert, aber das muss man mit der Zeit hinter sich lassen, und im Grunde ist das alles auch gar nicht so wichtig, man denkt das immer, aber ist gar nicht so..."

Dann geschieht das Unfassbare: Musik aus, Licht an! Wir sind tatsächlich die Letzten. Also wird das philosophische Gespräch, das sich mit den platonischen Dialogen durchaus messen könnte (zumindest, was die Länge betrifft) zum Glück unterbrochen und der Heimweg per Taxi beschlossen.


Zwei Nachtschwärmer auf dem Weg ins Ungewisse

Am Samstag kam ich mir gar nicht so betrunken vor (gut, bis auf das Philosphieren vielleicht), aber die Frage zum Sonntag: Was ist dieser glühende rote Ball, der leichte bis mittlere Schmerzwellen inmitten meines Universums aussendet? Es war leider mein Kopf.

Dass meine Mitbewohner "Wind of Change" von den Scorpions im Wohnzimmer aufdrehen, führt mehr zu Halluzinationen als zur Besserung meines Zustandes. Und man kennt das ja, wenn man aufsteht und einen Anblick auf das übel aussehende Partyzimmer mit Alkoholresten und Zigarettenrauch wirft, wird einem gleich wieder ein bisschen blümerant. Als ich schliesslich mit dem Vorsatz aufstehe, ein wenig aufzuräumen, hat die Putzfrau den Grossteil schon erledigt.

So peinlich es mir auch ist: Wir haben tatsächlich eine Putzfrau hier. Wenn sie nicht schon da gewesen wäre, ich hätte keine engagieren wollen. Wie meine Freundin Svenja sagt: Eine steile Karriere, erst noch arbeitslos in Köln, jetzt schon eine Putzfrau! Ich fühle mich etwas unwohl und finde das ein wenig bonzig, aber für sie ist es vielleicht einfach ein Job. Und ich muss leider zugeben, dass sie einem nach einer Party wie ein Geschenk des Himmels erscheint.

Mein Chef fragt mich am Montag: "Und, was hast du am Wochenende gesehen?" -"Shanghai bei Nacht!" - "Was, du hattest tagsüber frei und hast nur die Nacht gesehen?" Aber nein, ich habe auch etwas Kultur gemacht, ich war bei einer Austellungseröffnung in Ying Fangjuans Galerie! Aber doch, diese Woche habe ich mein Wissen über Shanghaier Nächte etwas erweitert -demnächst alles hier zu lesen, stay tuned!

Sonntag, 20. Mai 2007

Die Schönheit chinesischer Gärten

Zurück zur Natur! In diesem Fall nicht zur unberührten, sondern zur gestalteten - dem Yu-Garten! Hierbei handelt es sich nicht um einen öffentlichen Park, sondern um einen historischen, nach allen Regeln der Kunst angelegten Privat-Garten. Nachdem ich beim letzten Mal zu spät dran war, soll mein Traum von der Idylle wahr werden. Ich verneine wieder sämtliche "Watch your Bags"-Angebote in der Altstadt und betrete den Stolz Shanghais, den 1559 angelegten Yuyuan.

Hier ist man in einer anderen Welt: Je weiter man in den Garten vordringt, desto ruhiger und gelassener wird man. Anfangs schwirren noch die Worte der Fremdenführer an mein Ohr: Eine junge Chinesin erklärt den geneigten Zuhörern das Prinzip der chinesischen Gartenarchitektur. Die beiden wichtigsten Elemente seien Stein und Wasser, die sich ergänzen sollen wie Yin und Yang. Darum findet man in chinesischen Gärten immer Felsenanlagen und Steinbrücken, sowie viele Teiche.


Zwei andere wichtige Elemente sind Holz und Pflanzen; Blumen gehören hingegen nicht zum Konzept der chinesischen Gartenanlage. Hier und da würden jedoch ein paar für die Touristen gepflanzt, zum Fotografieren.

Tatsächlich sehe ich recht wenige Blumen in dem Garten. In einer deutschen Anlage hätte ich bestimmt nach ein paar Schritten ein vollgestopftes Blumenbeet entdeckt. Wir legen bei unseren Gärten Wert auf Vielfalt und Farben, um uns daran zu erfreuen; die Chinesen konzentrieren sich auf die Komposition weniger Elemente. Wenn man an den Bildaufbau von westlichen Kunstwerken und chinesischen Tuschezeichnungen denkt, fällt einem auch dort die Üppigkeit gegenüber minimalistischer, konzentrierter Darstellungsweise auf.

Der Garten in China soll den Menschen zur Ruhe bringen und zum Wesentlichen zurückführen: Blumen würden das Konzept der Gleichmässigkeit vielleicht stören, weil sie zu sehr auffallen und den Betrachter vom Gesamtbild ablenken, ihn wieder mit Reizen überfluten.

Ein anderes interessantes Konzept sind die bekannten Holzverschläge für die Fenster, hölzerne, durchsichtige Paravents und in die Mauer eingefügte Holzschnitzereien. In Deutschland fänden wir derartiges Lückenwerk nicht grad effektiv: Da kann man ja durchgucken! In China soll dies aber zum Gesamtbild der Entspannung und des Gleitens beitragen: Ein Fenster mit flächigem Holzverschlag ist versperrt und wirft den Blick zurück, eine dichte Mauer und ein undurchsichtiger Paravent wirken massiv. Das Holz soll den Blick nicht ganz durchlassen, um ein bisschen den Eindruck von Privatsphäre und Geborgenheit zu vermitteln, aber auch nicht blockieren, um das Umherschweifen des Blickes nicht zu stören.

Der Garten im Garten: Kunstvolle Schnitzerei im Glasfenster in der Mauer

Dieser Vorgabe entsprechend sind nur die Aussenwände wirklich fest und ohne Fenster, um den Garten von der Aussenwelt abzugrenzen. Die Schnitzereien und Statuen bilden anstelle von Blumen den Schmuck: Drachenköpfe an den Mauergrenzen der verschiedenen Bereiche und die bekannten kleinen Löwen vor jedem Tor.











Diese Wachhunde in spe deuten auf die Macht des Bewohners hin. Je mehr Locken der Löwe vor dem Tor hat, desto mächtiger und wichtiger ist der Besitzer. Es gibt immer zwei, einen weiblichen und einen männlichen Löwen. Die Löwin hat ein Kind unter der Pfote, der Löwe hingegen immer einen Ball (ein Symbol für die Welt in der Hand oder den Spieltrieb?).

Wie die Sphingen aus der Unendlichen Geschichte: Löwen vor dem Tor zum ersten Gartenteil

In den hölzernen Pavillons verbirgt sich Unterschiedliches: Stätten mit historischen Requisiten, ein Antiquitätengeschäft, eine Kalligraphie-Austellung... und in einer luftigen Gartenlaube hat eine chinesische Familie Bier und Häppchen zum Picknick ausgebreitet. Selbst das Theater mit dem Glockenspiel, im Gegensatz zum Garten Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, strahlt Ruhe und Gelassenheit aus - sollte an einem Ort wie diesem Lampenfieber und frenetischer Beifall möglich sein? Es hat die Atmosphäre des Gartens aufgesogen - so wie alle seine Besucher.

Anfangs stürmen die Touristen aufgeregt den Eingangsbereich, erobern mit schnellen Schritten das erste Terrain und fuchteln wild mit der Kamera. Dann werden auch sie von der Ausstrahlung des Gartens eingefangen: Die Körperhaltung wird entspannter, der Gang gleichmässiger, man setzt sich auf eine Bank unter den schattigen Bäumen oder in einen der kleinen Pavillons und macht mal hier, mal da ein Foto, wie es grad so kommt. Die Welt dreht sich ein wenig langsamer, man spürt den eigenen Atem wieder.Auch von mir fällt alles ab. Ich bin selten eins mit meiner Umgebung, immer sind es die Umgebung - und ich; zwei voneinander getrennte Elemente. Doch hier, wo alle Elemente sich ergänzen und zu einer Einheit werden, füge auch ich mich hinein. Denn so sorgfältig der chinesische Garten für sich, in sich allein geplant ist, so ist er keine Perfektion, die unberührbar bleiben soll. Diesen Garten kann man nicht einfach bloss anschauen, denn er nimmt seine Besucher auf. So vergesse ich für ein paar Stunden die laute, quirlige Welt auf der anderen Seite der Mauer und werde Teil eines chinesischen Gartens.


Donnerstag, 17. Mai 2007

Siehst du was, was ich nicht sehe?

Jetzt könnt Ihr wirklich alles sehen - ein kleiner Blick zurück in den April lohnt sich! Denn ich habe jetzt alle Kapitel mit Fotos aufgefrischt, damit Ihr mich auf meiner Reise besser begleiten könnt!

Das Huxinting-Teehaus bei Nacht

Dienstag, 15. Mai 2007

Die Götter sind bestechlich

Nun kommen wir zur Gretchenfrage: Wie hast du's mit der Religion?
Offiziell sind die Chinesen nämlich Atheisten (siehe Kommunismus, Religion ist Opium fürs Volk). Aber wie mein Insider-Reiseführer mir verrät, ist die Religionsausübung seit den 80ern wieder erlaubt: Buddhismus, Lamaismus (Dalai, na sicher, Tibet ist ja quasi um die Ecke), Daoismus, Islam und die Volksreligion. Die Volksreligion soll eine bunte Mischung aus Buddhismus, Daoismus und Regionalglaube sein. Was begegnet also dem U-Boot-Christen (taucht einmal im Jahr auf - zu Weihnachten) bzw. mit der christlichen Kultur vertrauten Atheisten, wenn er einen Tempel aufsucht?


Im Inneren des Jing'an Tempels

Bei uns zuhaus inne Dorfkirche is' ja alles einigermassen klar, sowohl Aufbau, Architektur als auch Ablauf. Übersichtliche Huldigung, ein Gott in Dreieinigkeit, und zum Jesusabbild gesellt sich höchstens noch die Mutter Maria hinzu. Ein ordentliches Kirchenschiff in Kreuzform mit Weihbecken, Kirchenbänken und Altar, schöne Glasfenster in verschiedensten Farbkompositionen und je nach Geldbeutel diverse religiöse Bilder und Statuen unserer Religion. Dann mal rein in die gute Stube, Gebet- und Gesangsbuch zücken, abwechselnd Solo-Show (Predigt) und Gesamtkunstwerk (Singen, Kunstwerk hängt von musikalischer Begabung der Gemeinde ab), zwischendurch Kollekte und Abendmahl, dann noch ein Segen und ab nach Hause.

Beim chinesischen Tempel wird die Kollekte gleich an der Pforte kassiert - beim Jing'an-Tempel werfe ich meinen Obolus in eine Art Briefschlitz, beim Stadtgott-Tempel bekomme ich tatsächlich eine Eintrittskarte für umgerechnet einen Euro bekommen. Für die Götter, die Erhaltung des Tempels, oder das Feierabendbier der Mönche?

Im Tempel eingetreten, finde ich mich unter freiem Himmel wieder, mit mehreren Hallen rechts, links und geradeaus. In dem freien Bereich kann man Räucherstäbchen erstehen (ähnlich wie bei uns die Kerzen) und anzünden. Die Chinesen nehmen meist ein Riesenbündel der Stäbchen, das sie in dem kleinen Feuergefäss anzünden. Sie sprechen ein Gebet und verbeugen sich dabei abwechselnd in alle vier Himmelsrichtungen, das Bündel fest in beiden Händen. Dann lassen sie es in einer Art Steinwagen auslodern. - Wenn der Tempel klein und voll ist, wie beim Stadtgott, muss man fast schon seine eigene Zeremonie abwarten, wenn man nicht mit dem Hintern an andere stossen oder seinem Betgenossen das Haar entflammen will.


Statt Weihbecken: Sandgefäss und Steinwagen für die Räucherstäbchen.

Doch es ist keine gemeinschaftliche Zeremonie, auch das Gebet in den Götterhallen findet immer nebeneinander und nicht miteinander statt. Oft findet man in einer Halle mehrere Götter, allen voran natürlich Buddha, den ich im Jing'an Tempel sogar in mehreren Versionen entdecke: den lachenden, gemütlichen, dicken Buddha, dann ein eleganter mit Schwert und in Rüstung, dann in Yoga-Position - mit Hakenkreuz auf dem Herz! Unterschiedlicher können zwei Kulturen ein Zeichen nicht begreifen: Für die Chinesen bedeutet dieses jahrtausendealte Zeichen ewige Dauer, ewige Erneuerung und Glückseligkeit; mir stockt natürlich erstmal der Atem. Es ist schwierig, dies mit den Augen der Anderen zu sehen.

Neben den Buddha-Statuen sind noch einige andere Götter vertreten, die ich nicht kenne - nur im Stadtgott-Tempel in der letzten Halle weiss ich, dass dies der Gott des Reichtums und seine Frau sein sollen, die in einem Meer von Farben verschwinden. Denn die Gabentische der wichtigen Götter werden mit Blumen und Früchte, sogar baozi (die kleinen Brötchen) als Opfer bestückt.


Auch ein Buddha möchte mal naschen...

Vor all diesen Göttern befinden sich höhergelegte rote Kissen, auf denen die Gläubigen niederknien und sich oft mehrfach verbeugen. Direkt zwischen Kissen und Gott befindet sich als Verbindungsstück ein roter Kasten mit Schlitz oben: für Geld. Für mich als Aussenstehende sieht das ein wenig nach Bestechung aus - laut meinem Insider betrachten die Chinesen einen Gott tatsächlich als Vertragspartner, und unzuverlässige Götter können angeblich degradiert oder sogar abgesetzt werden.

Aber vielleicht ist es vielmehr ein Opfer und Geschenk, um dem Gott Respekt zu erweisen und ihn milde zu stimmen. Denn im Stadtgott-Tempel findet man neben den roten Kästen einen anderen mit kleinen gelben Briefchen - die Antwort auf das Gebet, ein trostbringender Wegweiser und guter Wunsch.

Montag, 7. Mai 2007

Die Idee von der Idylle

Shanghai im Sonnenuntergang: Schiff mit Drachenkopf-Galeonsfiguren vor dem Oriental Pearl Tower am Huangpu

Mein Chef hat mich mal gefragt, was ich mir im Vorfeld von Shanghai und China erwartet habe. Die Frage kam sehr plötzlich, ich war überrascht und mir fiel keine gescheite Antwort ein: Naja, ich hätte vieles nur vom Hörensagen gewusst, so ein paar Klischees und so, und dass ich halt versuchen würde, mir meist gar nichts vorzustellen, meinen Kopf frei und leer zu machen, um alles einfach aufzunehmen. Eine Idee hat sich allerdings in meinem Kopf festgesetzt.

Seitdem ich hier bin, wollte ich in den Yu-Garten gehen, DIE Sehenswürdigkeit Shanghais mit der schönen Parkanlage, dem Huxinting-Teehaus und den malerischen Gassen im alten Stil. Mein Reiseführer empfiehlt, entweder früh am Morgen oder am Spätnachmittag dort aufzutauchen, um den grossen Touristenmassen zu entgehen. Also gehe ich um halb vier aus dem Haus, nehme die U-Bahn und will den Rest des Weges zu Fuss bestreiten. Die ewig lange Strasse ist allerdings total bebaut, und als ich endlich ein Strassenschild entdecke, stelle ich fest, dass ich in die entgegengesetzte Richtung gelaufen bin. (Passiert mir irgendwie öfters. Vielleicht sollte ich auch von vornherein nicht die Richtung wählen, die ich eigentlich nehmen will, sondern die andere!)

ch überwinde meine Hemmungen wegen der Sprachbarriere, klopfe zaghaft an eine Taxitür und bin kurze Zeit und schlappe 12 Yuan (1,20 Euro) später an der Schwelle zum Yu-Garten. Spätnachmittag, was für ein Geheimtipp: Die grossen Massen schieben sich immer noch durch die Gegend. Erst denke ich, ja gut, wenn hier viele Touristen sind, dann falle ich wenigstens mal nicht so auf. Denn ich wünsche mir oft, dass ich mich unters Volk mischen könnte, doch aufgrund meines Aussehens bin ich immer sofort als Ausländerin enttarnt. Aber hier bin ich Gleiche unter Gleichen - eine blöde Touristin! Alle drei Schritte erschrecken mich Leute: "Hello! Hello, Lady! Watch your bags!"

Ist das eine Warnung vor Taschendieben? Oder eine dreiste Ankündigung des Diebstahls? Besorgt taste ich nach meinem Rucksack und bewege mich schneller. Irgendwann begreife ich, dass sie mir IHRE Taschen zeigen wollen (gefälschte Louis-Vuitton-Accessoires).

Hello! Hello Lady! Watch your China!

Die Quelle der Ruhe, die Oase in dem touristischen Treiben, der Yu-Garten - kostet 4 Euro Eintritt und der Ticket-Schalter ist schon geschlossen. Spätnachmittag. Prima Tipp. Bleibt mir noch das legendäre Teehaus: Der Weg dorthin führt über eine Zickzack-Brücke. Das soll vor bösen Geistern schützen, der Legende nach können diese nämlich nur geradeaus gehen.

Im Teehaus selbst ist es tatsächlich schön und ruhig, ich entspanne mich etwas. Natürlich wird mir zuerst die Teekanne für zehn Euro angepriesen, aber ich schlage die Karte hartnäckig weiter hinten auf und wähle einen dieser schönen Tees, in denen sich die Blüte langsam öffnet. Dazu werden Dim Sum (kleine Häppchen) serviert.


Doch draussen zurück soll sich die "Hello Lady" immer noch irgendwelche Taschen und auch Galerien (?) ansehen. Und in den malerischen Kulissen lauern auch Starbucks und McDonalds. Etwas enttäuscht von dieser Disneyland-Version made in China, will ich trotzdem noch einmal am frühen Morgen herkommen, um den Garten und den Stadtgott-Tempel zu sehen. Vielleicht habe ich zuviel erwartet, aber so schnell lasse ich mir die Idee von der Idylle nicht nehmen. Für heute erhoffe ich mir nicht mehr viel, doch dann belohnt mich der Abend doch noch: Der Spaziergang am sogenannten Bund, der Promenade entlang des Huangpu-Flusses, bietet eine Wahnsinns-Skyline und ein gemächliches Flaniertempo. Plötzlich werde ich von einem jungen Chinesen mit Kamera etwas zögerlich angesprochen: Ich nehme an, er will, dass ich ein Foto von ihm und seiner Mutter mache, aber nein, er will eins mit mir. In China sind Leute aus dem Westen oft selbst eine Attraktion, und je weiter man von der Grossstadt entfernt ist und je seltener jemand aus dem Ausland dorthin findet, desto mehr... Ich fühle mich für einen kurzen Moment nicht mehr wie ein blöder Tourist, sondern wie etwas Besonderes, und posiere stolz für das gemeinsame Foto. Und geniesse zum Abschluss den tollen Ausblick und die abendliche Stimmung auf dem Rückweg.

All that Jazz!

Vielleicht mag ich Shanghai in den frühen Abendstunden am liebsten, wenn die Sonne selbst die grauesten Hochhäuser in ein sanftes rotes Licht taucht und die glitzernden Leuchtschriften, blinkenden Lampen und Scheinwerfer die Nacht in ein buntes Lichtermeer verwandeln.

Zu der Zeit habe ich gestern Christian getroffen, der zusammen mit mir in Köln studiert hat und grad in Shanghai sein Auslandsjahr macht. Zuerst gehen wir untypischerweise in eine japanische Restaurantkette, Ajisen Ramen, hier sehr beliebt und sehr gutes Essen. Hierbei lerne ich auch gleich die Königsdisziplin für Essstäbchen kennen: glitschige Chicken Wings! Ich fingere ungeschickt damit herum, was mein Gegenüber aber nicht weiter beeindruckt: "Solange nichts in meine Richtung fliegt..." Ich hingegen stehe staunend daneben, wenn er auf Chinesisch Tisch und Essen bestellt und mit dem Taxifahrer Witze reisst.

Nach der Kamikaze-Aktion 'Autos hautnah: Bei vollstem Stadtverkehr über Zebrastreifen gehen' treffen wir Christians Freunde, um Spiderman 3 (auf Englisch) zu sehen und werden Zeugen eines Vorher / Nachher-Effektes: Vor dem Kino sehen wir ein glückliches Brautpaar, nach dem Kino treffen wir es *leicht angetrunken* im Fahrstuhl wieder. Da man in China Leute ungeniert anstarren und alles kommentieren darf, kommt ein paar aus der Gruppe gleich ins Gespräch mit ihnen und wünschen den frisch Vermählten alles Gute - sowie einen sicheren Heimweg. Bei der Gelegenheit erfahre ich, dass die Braut nach westlichem Vorbild zu Beginn der Hochzeit weiss trägt, obwohl in China weiss als Farbe der Trauer gilt. Später, zur Feier, wechselt die Braut zu einem roten Kleid.

Rot sind auch die Insignien über der nächsten Schwelle: Willkommen im Jz Club zu Live Jazz und einem Halbliter frisch Gezapften! Tatsächlich erwartet uns hier ausgezeichneter Jazz, mit Bass, Piano, Drums und erstklassigem Gesang. Das Lied "The way you look tonight" wird wirklich und wahrhaftig einem weiteren anwesenden Brautpaar gewidmet.


Ah, Halbliterbier! Man beachte die strahlenden Gesichter im Vordergrund!

Zwischendurch wechselt sogar die musikalische Besetzung: Ein paar amerikanische Gäste werden auf die Bühne eingeladen samt Saxophon. Ein Stück bestreiten sie gemeinsam mit dem chinesischen Sänger - ohne gemeinsame Probe, nur eine kurze Absprache, und der Raum wird wieder von bittersüssem Jazz erfüllt. So träumt man im dämmrig-roten Zwielicht vor sich hin, wenn das kein Jazz ist, Shanghai bei Nacht, was dann?


It's just the way you play tonight!

Restaurant-Knigge

Neulich war ich zum ersten Mal in einem feinen chinesischen Restaurant, zusammen mit meinem Arbeitskollegen Qiu Hoa und dessen Freundin Ying Fangjuan. Ein schöner Abend mit witziger Konversation im Dreieck-Schema: Denn ich kann kein Chinesisch, Hoa kein Deutsch und Fangjuan kein Englisch. So fliegen verschiedene Wörter von Ecke zu Ecke: Chinesisch (Hoa und Fanjuan), Deutsch (Fangjuan und ich), Englisch (Hoa und ich).
Aber die verschiedenen Landessprachen sind noch gar nichts gegen die Möglichkeiten und Missverständnisse der Körpersprache: Chinesische Benimmregeln sind mir nur zum Teil bekannt, darum hoffe ich sehr, mich beim ersten feinen Abendessen nicht zu blamieren!

Da die Chinesen im persönlichen Umgang eher höflich und zurückhaltend sind, lassen sie sich bei einem Faux-pas vermutlich nichts anmerken... also mit Argusaugen beobachten und genauso machen!

Ein paar Dinge weiss ich schon vom Hörensagen: So wird z.B. die Rechnung bei einem edlen Menu selten gesplittet, meistens lädt einer alle ein. Das kann zwar auch bei uns vorkommen, doch die anderen Vorgehensweisen sind von unserem Verständnis zu unterscheiden:
Während es in Deutschland als unhöflich gilt, seinen Teller nicht leer zu essen (dann denkt man, das Essen hat wohl nicht geschmeckt), darf man in China nicht alles aufessen, vor allem die Teller in der Mitte dürfen nicht leer gegessen werden (damit würde man dem Gastgeber signalisieren, er habe zu wenig bestellt). Allerdings wird dermassen aufgetischt, da muss selbst die kleine Raupe Nimmersatt die Waffen strecken.
















Qiu Hoa, Ying Fangjuan, Carla und ein Tisch voll chinesischer Köstlichkeiten: Bei einem grossen Essen werden die einzelnen Speisen in die Mitte des Tisches platziert, und die hungrigen Teilnehmer dürfen sich alles nehmen, was das Herz begehrt!

Im Gegensatz zur Einladung im Restaurant darf man das selbst bestellte Mittagessen in der Garküche komplett wegputzen. Ebenso sind Reis und Nudeln beim Mittagsmahl in Ordnung, und wir würden das im chinesischen Restaurant in Deutschland ohne Hintergedanken mitbestellen. Hier in China werden Reis und Nudeln im edlen Lokal jedoch nicht geordert, das gilt zu eindeutig als Sattmacher und daher Arme-Leute-Essen!
Ausserdem empfinden die Chinesen Schneuzen beim Essen als Unsitte (vollgerotzte Taschentücher sind generell ungern gesehen, während Nase hochziehen und spucken ok ist). Und der Gast sollte auch von allem zumindest einen Bissen probieren - sonst wäre es unhöflich. Ich entdecke Entenfüsse und Qualle auf der Speisekarte und bereite mich schon mal darauf vor, aber nichts dergleichen, scheinbar bevorzugen auch meine Tischnachbarn andere Speisen...
obwohl ich mittlerweile fast neugierig bin, irgendwas muss doch dran sein, wenn's selbst im feinen Etablissement serviert wird. Jedenfalls scheine ich die gröbsten Klippen aber umschifft zu haben, denn beide wollen erneut mit mir essen gehen.

Donnerstag, 3. Mai 2007

Im Theater

Am Montag bin ich ins Theater gegangen, um eine traditionelle Oper zu sehen. Doch ich muss feststellen, dass anscheinend Gesang und Musik traditionell sind, aber nicht Kostüme und Story. Denn eine Gruppe Maoisten, komplett in bekannter grüner Uniform mit rotem Kragen plus Käppi mit Stern, stürmt die Bühne und schwenkt, wie soll es anders sein, die rote Fahne! Leider kann ich nicht ausmachen, worum es geht, da es nur chinesische "Seitentitel" links und rechts der Bühne gibt. Irgendwann weiss ich, wer in etwa die Bösen sind (klar, die anderen!), und die Bauern sind natürlich die Verbündeten, das muss fürs Verständnis erstmal reichen.

Die Opernmusik erinnert manchmal an unsere Arien, und wie erwartet werden Trommeln, Laut, Flöte, Streicher und häufig die grosse Schelle eingesetzt, die mit dem charakteristischen 'Boing' aufhört. Anders als bei unseren meist weniger ausdrucksstarken Rezitativen untermalt das Boing hier im gesprochenen Text ein dramatisches Statement, vielleicht etwa so: Der Kampf beginnt! - Boing! - Du kannst doch nicht gehen! - Boing! - Doch, ich muss! Nur ich kann das Land retten! - Boing! Boing! Boing!
Und dann beginnt die Arie.

Auf diese kurzfristigen musikalischen Einsätze reagieren die Sänger immer mit einer gleichzeitigen Körperbewegung, insgesamt ist die Abstimmung der Bewegungen auf die Musik erstaunlich. Die Sänger müssen zugleich auch unglaublich agil sein: Zwischendurch serviert der Hauptdarsteller Tanzeinlagen, hebt vom Boden ab und legt mal eben schnell einen Spagat hin.
Ausserdem gibt es Akrobaten, die Salti, Räder und Flipflops in rasender Abfolge schlagen. Am Schluss folgt noch eine Martial-Arts-Sequenz in Slow-Motion: Durch die Zeitlupe kann man den Ablauf des Kampfes genau verfolgen, das fand ich faszinierend. Am Schluss wird wieder die rote Fahne geschwenkt, die Maoisten haben gewonnen, das war's.

Aber was passiert währenddessen im Publikum? Obwohl das Licht im Zuschauerraum verdunkelt wird wie in der Neuzeit, herrscht ein Verhalten wie bei Shakespeare. Draussen im Foyer kann man Süssigkeiten und Getränke kaufen wie im Kino, im Saal wird genascht und getratscht, bei Begeisterung spontan in die Arien hineingeklatscht und gejubelt, man wechselt den Sitzplatz, man geht mal kurz raus und wieder rein. Eins finde ich schade: Sobald die Vorstellung vorbei ist, strömen die meisten sofort raus, und nur ein Teil des Publikums bleibt und applaudiert, geht vielleicht auch nach vorn. Doch ansonsten gefällt mir die Abkehr vom Zwang, auf dem Platz zwei Stunden festgenagelt und ruhiggestellt zu sitzen, das nun mehr durch ein Gefühl der Selbstbestimmung ersetzt wird, durch eine lebendiges und flexiblere Teilnahme am Geschehen.

Samstag, 28. April 2007

Sprache

Als ich angekommen bin, war ich total fasziniert von den chinesischen Schriftzeichen. Gut, das war natürlich zu erwarten, dass es hier überall chinesische Schriftzeichen gibt. Aber im Vergleich zu diesen ca. 5000 differenzierten und rätselhaften Chiffren erschienen mir unsere lumpigen 26 Buchstaben + Umlaute auf einmal recht profan. Alles sah für mich nach kalligraphischer Kunst aus: Leuchtzeichen, Flugtafeln, Werbung, Speisekarten, sogar auf dem Klo, überall Kunst!

Das ist die romantische Seite. Die praktische Seite bedeutet, dass ich kein Wort verstehe und extrem froh bin, dass die Strassen auch englische Schilder und Beschriftung haben, dass es englische Speisekarten und Anweisungen gibt, dass sich immer wieder Chinesen finden, die auch Englisch sprechen. Aber ich komme mir dabei blöd vor, wie ein dummer starrköpfiger Tourist, der darauf angewiesen ist, dass die Einheimischen die ihm bekannte Sprache sprechen, und es am besten auch noch erwartet.

Es ist frustrierend, für längere Zeit in einem Land zu leben und die Sprache absolut nicht zu können. Ich kann grad mal "Ni hao"(Guten Tag), "Zai jian" (Auf Wiedersehen), "Xie xie" (Danke), "che" (essen) und "Wo shi deguoren" (Ich bin deutsch) sagen. Wahrscheinlich spreche ich das noch nicht mal richtig aus. Die Chinesen haben vier verschiedene Tonlagen, und es klingt nach einer Art Singsang, der schwierig zu imitieren ist. Ich übe auch, wie man die Namen der Künstler aus der Galerie richtig ausspricht, doch schon das ist nicht leicht.



Zeitgenössische Kunst! Verstehe kein Wort, aber Hauptsache schön bunt!

Chinesisch ist leider keine Sprache, die man in drei Monaten mal so nebenbei aufnimmt. Aber dennoch ist mein Ehrgeiz geweckt! Ich liebe Sprachen und würde mich sehr gern ein bisschen unterhalten können. Ein Kollege aus der Galerie hat eine Freundin, die Deutsch lernt und will mich ihr vorstellen - vielleicht können wir uns dann gegenseitig die Sprache beibringen. Das wäre schon toll, wenn ich mich zumindest ein wenig unterhalten könnte. Das Lesen bleibt mir wohl erstmal verwehrt, denn so viele verschiedene Zeichen in so kurzer Zeit zu erlernen, ist utopisch. Jemand hat mir mal gesagt, es sei, als ob man sich 5000 verschiedene Gemälde in allen Einzelheiten einprägen müsste.

Dennoch nicht weniger rätselhaft und faszinierend. Eben Kunst.

Chinesisches Essen

Da ich die Sprache nicht beherrsche, bin ich mir manchmal nicht sicher, was ich da so esse. Es sei denn, es ist eindeutig identifizierbar, wie zum Beispiel Ananas- oder Melonenstückchen vom Strassenstand. Ein typischer Dialog aus dem Hostel: "Hier, hab ich in der Bäckerei gekauft. Willst du auch was?" - "Was ist denn das?"- "Weiss ich auch nicht."


Entdeckungen im Supermarkt (siehe links):

Sieht aus wie Autoreifen, ist aber Alge! Inklusive Instantmischung kann man ein lecker Süppchen zaubern...
Allerdings erkenne ich nicht alles so einfach. Ich habe mir auch schon Joghurt in den Kaffee geschüttet, da die Verpackung genauso wie ein Milchkarton aussah!

In den meisten Restaurants ist glücklicherweise eine englische Speisekarte erhältlich, oder, wie bei der Arbeit, können einem englischsprechende Chinesen erklären, was man bekommt. Das chinesische Essen ist sehr billig, schon ab 5 Yuan (Rmb), etwa 50 Cent, bekommt man eine leckere Nudelsuppe. Die Lokale, die ein wenig schmierig und nicht gerade einladend aussehen, haben oft das beste Essen. Die meisten Gerichte waren sehr lecker, wie geräucherter Aal in Honigsosse mit Reis oder Nudeln mit Gurke, Tofu und scharfen Erdnüssen. Pech hatte ich mal mit kleinen gefüllten, fritierten Nudelteigbällchen, das war nicht so mein Geschmack, und heute hatte ich so Hühnchenteile mit Knochen drin. Soll wohl so, aber nichts für die paranoide Carla, die schon die Splitter in der Kehle vor Augen hat!

Apropos Paranoia: Aufgrund zahlreicher Impfungen habe ich mich oft gefragt, ob ich China nicht doch besser im Restaurant um die Ecke kennen lernen soll... Und natürlich habe ich mir wieder alles Mögliche bis ins letzte Detail in schillernden Farben ausgemalt. Doch bis dato haben mich noch keine Krankheit, Fieber, Erkältung oder die vielbeschworenen Magen-Darm-Beschwerden ereilt (klopf auf Holz), obwohl ich überall rumlaufe und viel neues Essen probiert habe. Neugier und Paranoia sind die zwei extremen Pole, zwischen denen ich immer schwebe, und die Neugier trägt eindeutig den Sieg davon.

Klebriger Reis klebt übrigens besser auf Carlas Hose und Pulli als auf Carlas Essstäbchen. Ich stelle mich leider immer noch sehr ungeschickt beim Essen mit Stäbchen an, aber ich gebe nicht auf! Vor allem Nudeln sind noch sehr schwer für mich, ich hänge mit gebeugtem Kopf direkt über der Schüssel und muss alles schnell reinschlürfen, bevor es wieder von meinen Stäbchen fällt! Zum Glück ist es hier in China total normal und gehört sogar zum guten Ton, beim Essen zu schmatzen und zu schlürfen. Mich stört's nicht, ich bin echt froh, dass ich hier nicht weiter auffalle!

Stadtverkehr

Ein spezielles Kapitel: Der Stadtverkehr. Irgendjemand hat gesagt, dass der Stadtverkehr in China das Motto hat: Rette sich, wer kann!

Das trifft schon ein wenig zu. Rote und grüne Ampeln sind eher Richtlinien. Bislang entdeckte Grundregeln: 1) Gucken, ob Ampel grün ist, 2) Gucken, ob die Einheimischen losgehen, 3) Gucken, ob nicht doch ein Auto aus irgendeiner Ecke heranprescht, 4) Während man über die Strasse geht, immer noch weiter gucken! Ich habe mir somit nach kürzester Zeit einen Tenniszuschauer-Blick angewöhnt: Leicht hektisches, ununterbrochenes Gucken nach links und rechts.

Allerdings kann man auch alte Männer auf dem Fahrrad beobachten, die komplett unbeeindruckt von den riesigen Automassen und dem Gehupe hinter ihnen seelenruhig durch den Verkehr steuern, sowie diverse Unerschrockene, die mit einem zehn-Zentimeter-Abstand (höchstens) zu den vorbeirasenden Stahlkarossen einfach über die Strasse gehen. Ausserdem ist es hier üblich, auf der Strasse zu laufen. Ich würde das in keiner anderen Grossstadt machen - vielleicht, weil ich deutsch sei, meinten meine Mitbewohner scherzhaft, denn in Paris laufe man auch auf der Strasse herum. In Shanghai bleibt einem aber sowieso nichts anderes übrig, da die Bürgersteige mit Autos, Fahrrädern und Rollern zugeparkt sind, sowie kleinen Buden und Ständen, die Essen verkaufen.


Das hier sieht eigentlich noch recht übersichtlich aus...

In der U-Bahn steigen die Leute gleichzeitig ein und aus. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die Türen sich irgendwann unter lauten Alarmsignalen schliessen, egal ob noch Leute ein- oder aussteigen wollen. Daher muss man sich wohl oder übel raus- bzw. reindrängeln, will man an sein Ziel gelangen. Generell bleibt aber genügend Zeit, nur in der Rush Hour wird es eng, und alles strömt in alle Richtungen in panischer Hast.

Taxi fahren ist eine gute und hier noch vergleichsweise billige Alternative, allerdings sollte man dazu die Sprache, vor allem Aussprache, gut beherrschen! Demnach habe ich mich bisher nur in Begleitung in ein Taxi gewagt... Das Abenteuer Busfahrt steht bei mir auch noch aus, es lebe die urbane Odyssee!

Das Praktikum

Was meine neue Wirkungsstätte, die Eastlink Gallery, betrifft, so habe ich eine grosse Überraschung erlebt. Ich bin ziemlich unbedarft in die Galerie reingelatscht, um dann festzustellen, dass sie anscheinend recht bekannte Künstler vertritt und erfolgreich verkauft. Den hauptsächlich westlichen Käufern und Sammlern sind viele der Künstler genau bekannt, sie suchen oft nach bestimmten Werken. Am Montag nach meiner Ankunft kamen Leute von Sotheby's aus London dort vorbei, neben Christie's das krasse Auktionshaus! Ich dachte erst, ist es wirklich DAS Sotheby's?



Ein Bild der derzeitigen Ausstellung von Li Wei: Noodle.



Die Galerie selbst ist mit der ersten Show namens "Fuck Off" berühmt-berüchtigt geworden: "Fuck Off", weil sich die Macher weder von westlichen Standards noch der Zensur vorschreiben lassen wollten, wie die Ausstellung/Veranstaltung auszusehen hat. Die Show wurde später auch von der Regierung geschlossen, und das Buch dazu darf nicht mehr verkauft werden. Ein legendärer Anfang, der zeigt, dass hier auf Kontroverse und Neuerungen gesetzt wird, nicht auf blossen Kommerz.

So bin ich durch Zufall in einer Top-Galerie gelandet, ohne Plan und ohne Kenntnisse. Meinem persönlichen Gefühl nach sind die Werke tatsächlich hochwertig, wenn ich mir auch nicht alles zuhaus aufhängen würde. Aber es ist nicht irgendein so ein belangloses Zeug, so Möchtegern-Kunst, sondern wirklich Bilder und Skulpturen mit Ausstrahlung (ich sage nicht "Botschaft", denn das ist, finde ich, der falsche Begriff). Ich habe mich auch in ein paar anderen Galerien umgesehen - es gibt dort viele auf demselben Gelände. Eine andere Galerie, ShanghArt, war auch sehr gut, aber in einer weiteren, deren Stücke meine Kollegin "easy to buy" nannte, war es echt nicht so spannend. Die Ausstellungsstücke kann man sich problemlos zuhaus an die Wand hängen, sind aber eher glatt und langweilig.

In der Eastlink Gallery arbeiten vier Chinesen (der Leiter, ein Kenner für ältere Kunstwerke und zwei Assistenten), der italienische Manager (der mich auch zum Praktikum eingeladen hatte) und eine Britin auf Teilzeit. Also eine sehr internationale Atmosphäre! Es werden auch zeitgenössische ausländische Künstler ausgestellt (die letzte Ausstellung war von einem Iren). Von Zeit zu Zeit kommen die Künstler auch vorbei, aber ich habe noch keine Ahnung, wer wer ist!



Li Wei: Tattoo.

Die Arbeitszeit ist ganz gut, von 10-18 Uhr, normal fünf Tage die Woche. Die Galerie hat jedoch alle sieben Tage auf, also kann es gut sein, dass ich öfters am Wochenende arbeiten muss.
Da der Leiter und der Manager diese Woche nicht da waren und die Britin auf Teilzeit arbeitet, bin ich diese Woche schon voll eingestiegen und arbeite auch dieses Wochenende. Es gab noch nicht ganz so viel für mich zu tun, da ich erst nach und nach Aufgaben bekomme und mich erst mal zurechtfinden und mit Künstlern und Kunstwerken vertraut machen muss. Einerseits will ich alles schnell kennen lernen und mich nützlich machen, Galeriebesucher und Kunden richtig betreuen können - andererseits ist es schade, da ich bisher wegen Wohnungssuche, Jetlag und Galeriearbeit sehr wenig von Shanghai gesehen habe. Aber ich wollte ja auch nicht als blosser Tourist herkommen und Urlaub machen!

Darum bin ich recht glücklich, dass ich hier einen spannenden Arbeitsplatz in einer künstlerischen Atmosphäre gefunden habe. Details zu Stadt und Sehenswürdigkeiten müssen also noch kommen, bisher kann ich nur sagen, dass mir die ersten Eindrücke und die Atmosphäre hier sehr gefallen
.

Meine neue WG

Schweren Herzens musste ich meine "Power-WG" in Köln verlassen und mir am anderen Ende der Welt eine neue Bleibe suchen. Natürlich male ich mir meine Wohnungssuche in der Mega-Stadt in den düstersten Farben aus, werde aber recht schnell fündig: Meine neuen Mitbewohner sind total nette französische Studenten, die in meiner Gegenwart hauptsächlich Englisch sprechen. Am ersten Abend veranstalten sie einen DVD-Abend (mit "Stolz und Vorurteil", ich hätte eher an was wie"American Pie" gedacht...) und nehmen mich donnerstags gleich zum Abendessen mit ihren Freunden mit und stellen mich allen vor - ah! j'ai une faiblesse pour les francais! Bei dieser Gelegenheit stelle ich jedoch fest, dass alle anderen etwa 21-22 Jahre alt sind - o Gott! Ich bin alt! Ich bin alt! Und die von meinem Jetlag herrührenden Augenringe machen es auch nicht besser!

Aber zurück zur Wohnung selbst: Mein Zimmer ist nicht gross, das bin ich ja gewohnt... doch wir alle haben einen eigenen Balkon! Alles sehr zentral, U-Bahn, Einkaufsgelegenheiten und alles Mögliche um die Ecke, und ich brauche von meiner Haustür bis zur Galerie etwa eine halbe Stunde, was für so eine Metropole nicht schlecht ist. Eine fantastische Aussicht vom Wohnzimmerbalkon und durch die grossen Fenster alles sehr hell, aber auch etwas laut und für Shanghaier Verhältnisse nicht ganz billig (vermutlich wegen der Lage und Ausländerbonus). An der Wand hängen noch kommunistische Poster mit Mao und der roten Fibel. So wissen wir gleich, was hier so abgeht.




Blick vom Balkon in Zukunft und Vergangenheit: Vorn die kleinen Gassenhäuser, sogenannte Shikumen, hinten die glänzenden Wolkenkratzer.

Jedenfalls bin ich froh, hier zu sein und auf den ersten Eindruck eine wirklich nette WG gefunden zu haben; der einzige Wermutstropfen ist, dass meine Mitbewohner wegen der Maiferien (die ganze nächste Woche) nach Sichuan gefahren sind. Ich halte hier die Stellung, denn ich habe nicht frei, die Galerie hat auch während der Feiertage auf.