Freitag, 8. Juni 2007

Working Girl

Ich habe bisher recht wenig über mein Praktikum geschrieben - bis auf die Einführung, da könnte man leicht den Verdacht hegen, ich würde meine Zeit hier eher in Bars, Clubs, Parks oder wer weiss wo verbringen, aber tatsächlich bin ich tagsüber sehr fleissig. Oder versuche es zu sein.

Das morgendliche Szenario sieht meistens so aus: Die Franzosen sind entweder schon auf dem Weg zur Arbeit oder sitzen frisch geduscht im Wohnzimmer/Gemeinschaftsraum auf dem Sofa und checken schon ihre Mails, arbeiten am Computer an ihrer Junior Consulting Company und unterhalten sich mit ihrer chinesischen Sprachpartnerin.

Die Deutsche kriecht total verschlafen im Chewbacca-Look aus ihrem Zimmer und verschwindet im Bad, von wo aus sie später geduscht, aber nicht grade geschniegelt in die Küche rudert, um etwas Essbares abzugreifen. Mal wieder viel zu spät und schon leicht verschwitzt (wofür eigentlich die Dusche?) rennt sie zur U-Bahn und marschiert danach strammen Schrittes vom Hauptbahnhof zur Galerie.

Schliesslich gelange ich zur Moganshan Lu 50: In diesem Art District findet man Galerien, Ausstellungen, Ateliers, alles zum Künstlerbedarf und zur Rahmenanfertigung, Buchläden und Cafés. Mittlerweile hat sich auch das eine oder andere Modegeschäft hinzugesellt – der Kunstdistrikt hat sich allmählich zum Tipp für Touristen entwickelt. Tatsächlich sind die meisten Galeristen nicht aus China – die Top-Galerie ShanghArt wird beispielsweise von einem Schweizer geleitet, das Art Scene Warehouse von einem Kanadier und einem Amerikaner. Mein Chef ist einer der wenigen Chinesen und Künstler, die hier eine Galerie leiten; ansonsten gibt es in meiner Galerie noch eine chinesische und eine englische Kollegin sowie den italienischen Manager.

Eingang zur Moganshan Lu 50, State of Art

Was auffällig ist: Die meisten unserer Kunden kommen auch aus dem Ausland, Amerika, Europa, Australien. Chinesen mit Geld investieren lieber in traditionelle chinesische Kunst und Antiquitäten. Sie interessieren sich zwar sehr für moderne Kunst, aber es hat fuer sie noch nicht den Wert eines Sammlerobjekts oder Statussymbols. Kunstkritiker meinen jedoch, dass die nächste Generation, die im Ausland studiert und dort eine Begeisterung für die dortige zeitgenössische Kunst entwickelt, dann auch chinesische Kunst kaufen wird.

Insgesamt finde ich den Kunstbetrieb hier sehr angenehm. Ich habe mittlerweile von Kollegen oft gehört, dass es andernorts schwieriger ist, fuer Galeristen wie fuer Kunden. Galeristen muessen härter daran arbeiten und viel feinfühliger vorgehen, um Kundschaft für sich zu gewinnen – dafür haben sie oft nur wenige Sekunden.
Hier nehmen sich die Galeriebesucher Zeit, sich alle Bilder genau anzusehen und vielleicht auch mit den Galeristen darueber zu sprechen.

Auch für den Besucher ist es freundlicher: In Deutschland habe ich als Student nie einen Fuss in eine Galerie gesetzt, da ich immer gedacht habe, eine Galerie ist kein Museum. Dort wird Kunst verkauft und nicht gezeigt. Wenn man kein potentieller Kunde ist, hat man dort auch nichts zu suchen. Vielleicht ist das nur mein persönlicher Eindruck von der Galerieszene, vielleicht hätte ich es mal ausprobieren sollen. Allerdings habe ich mir zumindest von einem Amerikaner sagen lassen, dass die Szene in New York / Chelsea schon sehr exklusiv ist.
Hier darf der Besucher sich in Ruhe umschauen, egal ob er Sammler, Student, oder Tourist ist. Nach einer Weile wird er angesprochen und man erzählt ihm etwas über die Ausstellung, wenn er Fragen hat.

Damit sind wir auch schon bei der Frage, die ich bereits öfters gehört habe: Was genau machst du dort eigentlich?


Wein trinken! Finissage der Ausstellung von Island 6 in lauschiger abendlicher Stimmung

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebstes Carlinchen,

endlich komme ich dazu, Dir wenigstens ein paar Zeilen zu schreiben! Habe ein paar Deiner Blog-Kapitel gelesen, leider noch nicht alle, und es klingt alles sehr spannend was Du so erzählst. Ich glaube, mit dem Praktikum in Shanghai hast Du eine echt gute Wahl getroffen, weil Du ja auch das Leben der Chinesen kennen lernst und nicht einfach nur Tourist bist. Kommst Du mit dem Geld klar? Wie lang bist du denn eigentlich noch dort, bis Ende Juli?
Bei mir läuft übrigens auch alles ganz gut. Ich bin ziemlich eingespannt in die Redaktion, 10 Stunden sind normal obwohl ich laut Vertrag nur 7,3 arbeiten muss. Aber ich kann mich ja nicht einfach 18 Uhr von meinen Kollegen verabschieden, wenn mein Artikel noch nicht abgesegnet ist... Toll ist, dass ich "einfach machen" kann und dass ich ganz unterschiedliche Themen bearbeite: In den nächsten Tagen werde ich 4 Architekten treffen, die alte Gebäude hier in der Gegend interessant umgestaltet haben und ich werde mich mit ihnen über ihr Ursprungskonzept, die Umsetzung etc. unterhalten. Bin sehr gespannt! Aber: das lange Arbeiten ist auch anstrengend, man kann eben nicht mal eben nach Hause gehen, :-/ Das ist wohl das, was ich am meisten vom Studium vermisse. Außerdem muss ich ab und zu am Wochenende arbeiten. Dafür bekomme ich einen freien Tag und extra Geld, aber es schlaucht ganz schön...
Apropos schlauchen: ich muss dann mal wieder. Die Redakteurin, mit der ich im Zimmer sitze, ist noch nicht da - das hab ich genutzt um dir in aller Ruhe (nun eine doch recht lange Mail) zu schreiben.

Ich drück dich herzlich, lass es Dir gut gehen und halte die zeitgenössische Kunst hoch :-),

Franzi

Anonym hat gesagt…

Jetzt hab ich Dir einen gaaaanz langen Kommentar geschrieben - und er wird nicht angezeigt... Hast Du ihn trotzdem bekommen und musst ihn erst "autorisieren" - oder ist er etwa im Äther verschwunden?

Franziska