Dienstag, 22. Mai 2007

Ernst ist das Leben, heiter die Kunst

Nach der vorherigen Erzählung: Es war einmal eine Party... kommen wir jetzt wieder zum Kultur-Teil. Ying Fangjuan arbeitet auch in einer Galerie und hat mich zur Eröffnung der neuen Austellung eingeladen, die am Nachmittag vor der römischen Party stattfinden. Ich war vorher schon einmal dort, als noch Bilder im klassischen Stil dort zu sehen waren:



Noble Ausstattung: Dunkles Mobiliar, Teppich, Kronleuchter und ein Flügel zur musikalischen Untermalung

Ich komme gerade noch rechtzeitig zur Eröffnung an und stehe neben Fangjuan (im Chinesischen werden die Nachnamen zuerst genannt) strategisch günstig am Buffet, als eine elegante Dame mit ihrer Rede beginnt - von der ich leider wieder nichts verstanden habe. Der Maler Hsia Yan ist ein älterer netter Herr, der wie ein chinesischer Peter Ustinov aussieht und sich kurz, aber freundlich für das Interesse bedankt.

Fangjuan versorgt mich sofort mit einem Glas Wein und Hors d' oeuvres, die wohlfeile Formulierung für 'Häppchen' bei besonderen Anlässen - es gibt Obst und unglaublich leckeren Kuchen, wer würde da nicht gern zu einer Eröffnung gehen... Zu den Klängen von Klaviermusik betrachten wir die Bilder: Der Künstler steht in der Tradition der chinesischen Tuschezeichnungen, was den Hintergrund betrifft, doch seine Pinselführung in den Details ist eher modern. Mit wenigen, fedrigen Strichen malt er Pferde, die über das Feld zu fliegen scheinen, spiralenförmig angeordnete Linien ergeben ein Gesicht, und kleine ausgeschnittene Partikel ergeben Blumenfelder und Tischgedecke wie ein Mosaik.

Die Bilder sind in ihrem schlichten Konzept und ihrer vorsichtig-liebevollen Anordnung der Details wie traditionelle chinesische Malerei in modernem Gewand. Neben einer eigenwilligen Interpretation der Mona Lisa findet man auch Selbstportraits und die Darstellungen chinesischer Legenden. Auf einem Bild sieht man eine Frau und zwei Männer: Fangjuan versucht, mir die Geschichte zu erklären (anscheinend ist sie etwas kompliziert). Obwohl ich es nicht wissen kann, errate ich durch die Ausstrahlung, dass es sich um eine Dreiecksgeschichte mit Ehemann und Liebhaber handelt. Manche Signale sind vermutlich universell, und der Maler hat es subtil, aber auch für mich lesbar dargestellt. Das andere Bild ist die Legende eines Feuerregens, der die Erde zerstört. Im Vordergrund sieht man die Göttin, welche die Flammen löscht und den Schaden anschliessend behebt.

Mit künstlerischer Kollegin Ying Fangjuan vor dem Bild einer chinesischen Berglandschaft. Was ich so stolz festhalte, ist der Katalog mit Signatur des Künstlers.

Das Bild, vor dem wir hier stehen, ist mir ein Rätsel: Rechts unten, am Ende dieser chinesischen Felsenlandschaft, geht ein Mann im Anzug mit einem Koffer entlang. Kein blosses Landschaftsbild? Doch wenn ein Mensch, warum kein Mönch, kein Reisender, kein Geniesser? Warum ein Businessmann mit Aktenkoffer, der in dieser monumentalen, ruhigen Darstellung Signale der Hektik aussendet?

Ich hätte den Maler fragen sollen. Vielleicht hat der Finanzier keine Zeit für entspannende Landschaftsbetrachtungen und kehrt der Schönheit den Rücken? Oder im Gegenteil, er wendet sich von dem zerklüfteten hohen Berg ab, er muss diesen unerreichbaren Gipfel nicht mehr erklimmen. Oder ist er ein moderner Sisyphus, der statt eines Felsens den Aktenkoffer als Bürde hat und zudem auch noch in die falsche Richtung geht?

Manchmal merkt man erst viel später, dass man sich falsche Lasten auferlegt und nicht den richtigen Weg eingeschlagen hat, dass man nicht jeden Berg, den man sieht, auch erklimmen muss, um ihn zu begreifen. Das ist nur meine Interpretation, doch das ist vielleicht ein Ziel der Kunst: Eine verborgene Saite in jedem Menschen anrühren, ihm die Augen für das öffnen, was er selbst nicht sieht und nicht erkennt. Darum ist der einzige Mensch, in dem man sich auf dem Bild wiedererkennen kann, ein Mensch mit Aktenkoffer auf dem Weg ins Nichts: Denn das ist der moderne Mensch.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hallo Carla, ich freu mich so für dich, dass du dieses Land mit all seinen Facetten erleben kannst. Genieße die Zeit dort! Liebe Grüße Evi