Dienstag, 29. Mai 2007

Wer sind wir?

Wenn man ins Ausland geht, erfährt man nicht nur etwas über die Heimat anderer, sondern auch über sein eigenes Land. Man lernt, mit den Augen der anderen zu sehen - auch sich selbst. Was denken die Chinesen eigentlich über die Deutschen?

Zu dieser Frage kommt natürlich die passende Rahmenveranstaltung: Zum 100jährigen Bestehen der Tongji-Universität veranstaltet die deutsche Fakultät einen chinesisch-deutschen Abend, zu dem Christian mich eingeladen hat. So schmuggle ich mich inkognito unter die Tongji-Eleven und erlebe einige Überraschungen.

Ich wappne mich für lange Reden von den Honorationen, aber diese halten sich kurz: Der Abend soll vor allem im Zeichen der Studenten und der Unterhaltung stehen! Auch die Moderation wird von vier Studenten (darunter Christian) übernommen, die zwischendurch erzählen, warum sie Shanghai gewählt haben und Chinesisch studieren bzw. wo sie schon in Deutschland waren und warum sie Deutsch studieren. Die Antworten wurden natürlich ETWAS vorbereitet, sind aber dennoch erstaunlich: Die Chinesen lieben nicht nur die deutsche Kultur, sondern besonders die späteren Möglichkeiten in der Wirtschaft machen dieses Studium so attraktiv. Das Riesenland China mit ungeahnten wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Ressourcen nimmt unser vergleichsweise niedliches kleinen Domizil als Vorbild, nun ja, das sollten mal alle Pessimisten hören, die immer noch meinen, Deutschland sei auf dem absteigenden Ast und könne eh nirgends mehr mithalten... Und so schlimm die Kulturkürzungen auch sind: Wir sind immer noch ein Land, in der sich auch Kleinstädte ein eigenes Theater leisten können - was bei uns Status Quo ist, gibt es anderwo oft nicht mal!


Aber heute Abend widmen wir uns nicht Wirtschaft und Finanzen oder "German Angst" und Pessimismus, sondern der Kultur: Violinenspiel, zweisprachige Peking-Oper, Theaterstücke -und Popmusik.

Hierbei sind die Grenzen fliessend: Ein eher massig gebauter Chinese singt auf deutsch das klassische Musikstück von der Forelle, so zärtlich und OHNE Akzent, dass mir der Kiefer runterklappt. Christian und sein Chor erfüllen die Aula zunächst mit deutschen, dann wunderschönen chinesischen Klängen; eine andere deutsche Gruppe rockt das Publikum mit einem chinesischen Hit; und ein weiterer chinesischer Deutschstudent bietet ein Lied von den Prinzen dar. Besonders beliebt sind anscheinend Märchen: die Chinesen spielen uns unter anderem Rotkäppchen und der böse Wolf sowie den Froschkönig vor.

Märchen ist das Stichwort, denn hier erlebe ich nicht nur China aus deutscher Sicht, sondern sehe auch Deutschland vom chinesischen Blickwinkel aus. Mein Kollege Qiu Hoa sagte mir einmal: "Für uns Chinesen ist es ein Traum, ins Ausland zu gehen. Es ist wie ein Märchen." Für uns ist China mit seiner jahrtausendalten Kultur und wundersamen Andersartigkeit ein exotisches, geheimsnisvolles Land - und man kann sich kaum vorstellen, dass sie unser Land vielleicht so ähnlich sehen.
Was uns allzu bekannt, alltäglich und selbstverständlich scheint, kommt für sie aus einer anderen Welt und hat eine magische Wirkung auf sie. Und erst mit ihren Augen kann man sie erkennen.
So seltsam es auch klingt: Die Ferne bringt einen dem eigenen Land wieder näher.

Nächtliche Magie im alten China: Hier sind die Bäume nicht lediglich zu Werbezwecken oder zu Weihnachten mit Lichtern geschmückt, sondenr leuchten dir immer

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