Dienstag, 15. Mai 2007

Die Götter sind bestechlich

Nun kommen wir zur Gretchenfrage: Wie hast du's mit der Religion?
Offiziell sind die Chinesen nämlich Atheisten (siehe Kommunismus, Religion ist Opium fürs Volk). Aber wie mein Insider-Reiseführer mir verrät, ist die Religionsausübung seit den 80ern wieder erlaubt: Buddhismus, Lamaismus (Dalai, na sicher, Tibet ist ja quasi um die Ecke), Daoismus, Islam und die Volksreligion. Die Volksreligion soll eine bunte Mischung aus Buddhismus, Daoismus und Regionalglaube sein. Was begegnet also dem U-Boot-Christen (taucht einmal im Jahr auf - zu Weihnachten) bzw. mit der christlichen Kultur vertrauten Atheisten, wenn er einen Tempel aufsucht?


Im Inneren des Jing'an Tempels

Bei uns zuhaus inne Dorfkirche is' ja alles einigermassen klar, sowohl Aufbau, Architektur als auch Ablauf. Übersichtliche Huldigung, ein Gott in Dreieinigkeit, und zum Jesusabbild gesellt sich höchstens noch die Mutter Maria hinzu. Ein ordentliches Kirchenschiff in Kreuzform mit Weihbecken, Kirchenbänken und Altar, schöne Glasfenster in verschiedensten Farbkompositionen und je nach Geldbeutel diverse religiöse Bilder und Statuen unserer Religion. Dann mal rein in die gute Stube, Gebet- und Gesangsbuch zücken, abwechselnd Solo-Show (Predigt) und Gesamtkunstwerk (Singen, Kunstwerk hängt von musikalischer Begabung der Gemeinde ab), zwischendurch Kollekte und Abendmahl, dann noch ein Segen und ab nach Hause.

Beim chinesischen Tempel wird die Kollekte gleich an der Pforte kassiert - beim Jing'an-Tempel werfe ich meinen Obolus in eine Art Briefschlitz, beim Stadtgott-Tempel bekomme ich tatsächlich eine Eintrittskarte für umgerechnet einen Euro bekommen. Für die Götter, die Erhaltung des Tempels, oder das Feierabendbier der Mönche?

Im Tempel eingetreten, finde ich mich unter freiem Himmel wieder, mit mehreren Hallen rechts, links und geradeaus. In dem freien Bereich kann man Räucherstäbchen erstehen (ähnlich wie bei uns die Kerzen) und anzünden. Die Chinesen nehmen meist ein Riesenbündel der Stäbchen, das sie in dem kleinen Feuergefäss anzünden. Sie sprechen ein Gebet und verbeugen sich dabei abwechselnd in alle vier Himmelsrichtungen, das Bündel fest in beiden Händen. Dann lassen sie es in einer Art Steinwagen auslodern. - Wenn der Tempel klein und voll ist, wie beim Stadtgott, muss man fast schon seine eigene Zeremonie abwarten, wenn man nicht mit dem Hintern an andere stossen oder seinem Betgenossen das Haar entflammen will.


Statt Weihbecken: Sandgefäss und Steinwagen für die Räucherstäbchen.

Doch es ist keine gemeinschaftliche Zeremonie, auch das Gebet in den Götterhallen findet immer nebeneinander und nicht miteinander statt. Oft findet man in einer Halle mehrere Götter, allen voran natürlich Buddha, den ich im Jing'an Tempel sogar in mehreren Versionen entdecke: den lachenden, gemütlichen, dicken Buddha, dann ein eleganter mit Schwert und in Rüstung, dann in Yoga-Position - mit Hakenkreuz auf dem Herz! Unterschiedlicher können zwei Kulturen ein Zeichen nicht begreifen: Für die Chinesen bedeutet dieses jahrtausendealte Zeichen ewige Dauer, ewige Erneuerung und Glückseligkeit; mir stockt natürlich erstmal der Atem. Es ist schwierig, dies mit den Augen der Anderen zu sehen.

Neben den Buddha-Statuen sind noch einige andere Götter vertreten, die ich nicht kenne - nur im Stadtgott-Tempel in der letzten Halle weiss ich, dass dies der Gott des Reichtums und seine Frau sein sollen, die in einem Meer von Farben verschwinden. Denn die Gabentische der wichtigen Götter werden mit Blumen und Früchte, sogar baozi (die kleinen Brötchen) als Opfer bestückt.


Auch ein Buddha möchte mal naschen...

Vor all diesen Göttern befinden sich höhergelegte rote Kissen, auf denen die Gläubigen niederknien und sich oft mehrfach verbeugen. Direkt zwischen Kissen und Gott befindet sich als Verbindungsstück ein roter Kasten mit Schlitz oben: für Geld. Für mich als Aussenstehende sieht das ein wenig nach Bestechung aus - laut meinem Insider betrachten die Chinesen einen Gott tatsächlich als Vertragspartner, und unzuverlässige Götter können angeblich degradiert oder sogar abgesetzt werden.

Aber vielleicht ist es vielmehr ein Opfer und Geschenk, um dem Gott Respekt zu erweisen und ihn milde zu stimmen. Denn im Stadtgott-Tempel findet man neben den roten Kästen einen anderen mit kleinen gelben Briefchen - die Antwort auf das Gebet, ein trostbringender Wegweiser und guter Wunsch.

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