Samstag, 28. April 2007

Sprache

Als ich angekommen bin, war ich total fasziniert von den chinesischen Schriftzeichen. Gut, das war natürlich zu erwarten, dass es hier überall chinesische Schriftzeichen gibt. Aber im Vergleich zu diesen ca. 5000 differenzierten und rätselhaften Chiffren erschienen mir unsere lumpigen 26 Buchstaben + Umlaute auf einmal recht profan. Alles sah für mich nach kalligraphischer Kunst aus: Leuchtzeichen, Flugtafeln, Werbung, Speisekarten, sogar auf dem Klo, überall Kunst!

Das ist die romantische Seite. Die praktische Seite bedeutet, dass ich kein Wort verstehe und extrem froh bin, dass die Strassen auch englische Schilder und Beschriftung haben, dass es englische Speisekarten und Anweisungen gibt, dass sich immer wieder Chinesen finden, die auch Englisch sprechen. Aber ich komme mir dabei blöd vor, wie ein dummer starrköpfiger Tourist, der darauf angewiesen ist, dass die Einheimischen die ihm bekannte Sprache sprechen, und es am besten auch noch erwartet.

Es ist frustrierend, für längere Zeit in einem Land zu leben und die Sprache absolut nicht zu können. Ich kann grad mal "Ni hao"(Guten Tag), "Zai jian" (Auf Wiedersehen), "Xie xie" (Danke), "che" (essen) und "Wo shi deguoren" (Ich bin deutsch) sagen. Wahrscheinlich spreche ich das noch nicht mal richtig aus. Die Chinesen haben vier verschiedene Tonlagen, und es klingt nach einer Art Singsang, der schwierig zu imitieren ist. Ich übe auch, wie man die Namen der Künstler aus der Galerie richtig ausspricht, doch schon das ist nicht leicht.



Zeitgenössische Kunst! Verstehe kein Wort, aber Hauptsache schön bunt!

Chinesisch ist leider keine Sprache, die man in drei Monaten mal so nebenbei aufnimmt. Aber dennoch ist mein Ehrgeiz geweckt! Ich liebe Sprachen und würde mich sehr gern ein bisschen unterhalten können. Ein Kollege aus der Galerie hat eine Freundin, die Deutsch lernt und will mich ihr vorstellen - vielleicht können wir uns dann gegenseitig die Sprache beibringen. Das wäre schon toll, wenn ich mich zumindest ein wenig unterhalten könnte. Das Lesen bleibt mir wohl erstmal verwehrt, denn so viele verschiedene Zeichen in so kurzer Zeit zu erlernen, ist utopisch. Jemand hat mir mal gesagt, es sei, als ob man sich 5000 verschiedene Gemälde in allen Einzelheiten einprägen müsste.

Dennoch nicht weniger rätselhaft und faszinierend. Eben Kunst.

Chinesisches Essen

Da ich die Sprache nicht beherrsche, bin ich mir manchmal nicht sicher, was ich da so esse. Es sei denn, es ist eindeutig identifizierbar, wie zum Beispiel Ananas- oder Melonenstückchen vom Strassenstand. Ein typischer Dialog aus dem Hostel: "Hier, hab ich in der Bäckerei gekauft. Willst du auch was?" - "Was ist denn das?"- "Weiss ich auch nicht."


Entdeckungen im Supermarkt (siehe links):

Sieht aus wie Autoreifen, ist aber Alge! Inklusive Instantmischung kann man ein lecker Süppchen zaubern...
Allerdings erkenne ich nicht alles so einfach. Ich habe mir auch schon Joghurt in den Kaffee geschüttet, da die Verpackung genauso wie ein Milchkarton aussah!

In den meisten Restaurants ist glücklicherweise eine englische Speisekarte erhältlich, oder, wie bei der Arbeit, können einem englischsprechende Chinesen erklären, was man bekommt. Das chinesische Essen ist sehr billig, schon ab 5 Yuan (Rmb), etwa 50 Cent, bekommt man eine leckere Nudelsuppe. Die Lokale, die ein wenig schmierig und nicht gerade einladend aussehen, haben oft das beste Essen. Die meisten Gerichte waren sehr lecker, wie geräucherter Aal in Honigsosse mit Reis oder Nudeln mit Gurke, Tofu und scharfen Erdnüssen. Pech hatte ich mal mit kleinen gefüllten, fritierten Nudelteigbällchen, das war nicht so mein Geschmack, und heute hatte ich so Hühnchenteile mit Knochen drin. Soll wohl so, aber nichts für die paranoide Carla, die schon die Splitter in der Kehle vor Augen hat!

Apropos Paranoia: Aufgrund zahlreicher Impfungen habe ich mich oft gefragt, ob ich China nicht doch besser im Restaurant um die Ecke kennen lernen soll... Und natürlich habe ich mir wieder alles Mögliche bis ins letzte Detail in schillernden Farben ausgemalt. Doch bis dato haben mich noch keine Krankheit, Fieber, Erkältung oder die vielbeschworenen Magen-Darm-Beschwerden ereilt (klopf auf Holz), obwohl ich überall rumlaufe und viel neues Essen probiert habe. Neugier und Paranoia sind die zwei extremen Pole, zwischen denen ich immer schwebe, und die Neugier trägt eindeutig den Sieg davon.

Klebriger Reis klebt übrigens besser auf Carlas Hose und Pulli als auf Carlas Essstäbchen. Ich stelle mich leider immer noch sehr ungeschickt beim Essen mit Stäbchen an, aber ich gebe nicht auf! Vor allem Nudeln sind noch sehr schwer für mich, ich hänge mit gebeugtem Kopf direkt über der Schüssel und muss alles schnell reinschlürfen, bevor es wieder von meinen Stäbchen fällt! Zum Glück ist es hier in China total normal und gehört sogar zum guten Ton, beim Essen zu schmatzen und zu schlürfen. Mich stört's nicht, ich bin echt froh, dass ich hier nicht weiter auffalle!

Stadtverkehr

Ein spezielles Kapitel: Der Stadtverkehr. Irgendjemand hat gesagt, dass der Stadtverkehr in China das Motto hat: Rette sich, wer kann!

Das trifft schon ein wenig zu. Rote und grüne Ampeln sind eher Richtlinien. Bislang entdeckte Grundregeln: 1) Gucken, ob Ampel grün ist, 2) Gucken, ob die Einheimischen losgehen, 3) Gucken, ob nicht doch ein Auto aus irgendeiner Ecke heranprescht, 4) Während man über die Strasse geht, immer noch weiter gucken! Ich habe mir somit nach kürzester Zeit einen Tenniszuschauer-Blick angewöhnt: Leicht hektisches, ununterbrochenes Gucken nach links und rechts.

Allerdings kann man auch alte Männer auf dem Fahrrad beobachten, die komplett unbeeindruckt von den riesigen Automassen und dem Gehupe hinter ihnen seelenruhig durch den Verkehr steuern, sowie diverse Unerschrockene, die mit einem zehn-Zentimeter-Abstand (höchstens) zu den vorbeirasenden Stahlkarossen einfach über die Strasse gehen. Ausserdem ist es hier üblich, auf der Strasse zu laufen. Ich würde das in keiner anderen Grossstadt machen - vielleicht, weil ich deutsch sei, meinten meine Mitbewohner scherzhaft, denn in Paris laufe man auch auf der Strasse herum. In Shanghai bleibt einem aber sowieso nichts anderes übrig, da die Bürgersteige mit Autos, Fahrrädern und Rollern zugeparkt sind, sowie kleinen Buden und Ständen, die Essen verkaufen.


Das hier sieht eigentlich noch recht übersichtlich aus...

In der U-Bahn steigen die Leute gleichzeitig ein und aus. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass die Türen sich irgendwann unter lauten Alarmsignalen schliessen, egal ob noch Leute ein- oder aussteigen wollen. Daher muss man sich wohl oder übel raus- bzw. reindrängeln, will man an sein Ziel gelangen. Generell bleibt aber genügend Zeit, nur in der Rush Hour wird es eng, und alles strömt in alle Richtungen in panischer Hast.

Taxi fahren ist eine gute und hier noch vergleichsweise billige Alternative, allerdings sollte man dazu die Sprache, vor allem Aussprache, gut beherrschen! Demnach habe ich mich bisher nur in Begleitung in ein Taxi gewagt... Das Abenteuer Busfahrt steht bei mir auch noch aus, es lebe die urbane Odyssee!

Das Praktikum

Was meine neue Wirkungsstätte, die Eastlink Gallery, betrifft, so habe ich eine grosse Überraschung erlebt. Ich bin ziemlich unbedarft in die Galerie reingelatscht, um dann festzustellen, dass sie anscheinend recht bekannte Künstler vertritt und erfolgreich verkauft. Den hauptsächlich westlichen Käufern und Sammlern sind viele der Künstler genau bekannt, sie suchen oft nach bestimmten Werken. Am Montag nach meiner Ankunft kamen Leute von Sotheby's aus London dort vorbei, neben Christie's das krasse Auktionshaus! Ich dachte erst, ist es wirklich DAS Sotheby's?



Ein Bild der derzeitigen Ausstellung von Li Wei: Noodle.



Die Galerie selbst ist mit der ersten Show namens "Fuck Off" berühmt-berüchtigt geworden: "Fuck Off", weil sich die Macher weder von westlichen Standards noch der Zensur vorschreiben lassen wollten, wie die Ausstellung/Veranstaltung auszusehen hat. Die Show wurde später auch von der Regierung geschlossen, und das Buch dazu darf nicht mehr verkauft werden. Ein legendärer Anfang, der zeigt, dass hier auf Kontroverse und Neuerungen gesetzt wird, nicht auf blossen Kommerz.

So bin ich durch Zufall in einer Top-Galerie gelandet, ohne Plan und ohne Kenntnisse. Meinem persönlichen Gefühl nach sind die Werke tatsächlich hochwertig, wenn ich mir auch nicht alles zuhaus aufhängen würde. Aber es ist nicht irgendein so ein belangloses Zeug, so Möchtegern-Kunst, sondern wirklich Bilder und Skulpturen mit Ausstrahlung (ich sage nicht "Botschaft", denn das ist, finde ich, der falsche Begriff). Ich habe mich auch in ein paar anderen Galerien umgesehen - es gibt dort viele auf demselben Gelände. Eine andere Galerie, ShanghArt, war auch sehr gut, aber in einer weiteren, deren Stücke meine Kollegin "easy to buy" nannte, war es echt nicht so spannend. Die Ausstellungsstücke kann man sich problemlos zuhaus an die Wand hängen, sind aber eher glatt und langweilig.

In der Eastlink Gallery arbeiten vier Chinesen (der Leiter, ein Kenner für ältere Kunstwerke und zwei Assistenten), der italienische Manager (der mich auch zum Praktikum eingeladen hatte) und eine Britin auf Teilzeit. Also eine sehr internationale Atmosphäre! Es werden auch zeitgenössische ausländische Künstler ausgestellt (die letzte Ausstellung war von einem Iren). Von Zeit zu Zeit kommen die Künstler auch vorbei, aber ich habe noch keine Ahnung, wer wer ist!



Li Wei: Tattoo.

Die Arbeitszeit ist ganz gut, von 10-18 Uhr, normal fünf Tage die Woche. Die Galerie hat jedoch alle sieben Tage auf, also kann es gut sein, dass ich öfters am Wochenende arbeiten muss.
Da der Leiter und der Manager diese Woche nicht da waren und die Britin auf Teilzeit arbeitet, bin ich diese Woche schon voll eingestiegen und arbeite auch dieses Wochenende. Es gab noch nicht ganz so viel für mich zu tun, da ich erst nach und nach Aufgaben bekomme und mich erst mal zurechtfinden und mit Künstlern und Kunstwerken vertraut machen muss. Einerseits will ich alles schnell kennen lernen und mich nützlich machen, Galeriebesucher und Kunden richtig betreuen können - andererseits ist es schade, da ich bisher wegen Wohnungssuche, Jetlag und Galeriearbeit sehr wenig von Shanghai gesehen habe. Aber ich wollte ja auch nicht als blosser Tourist herkommen und Urlaub machen!

Darum bin ich recht glücklich, dass ich hier einen spannenden Arbeitsplatz in einer künstlerischen Atmosphäre gefunden habe. Details zu Stadt und Sehenswürdigkeiten müssen also noch kommen, bisher kann ich nur sagen, dass mir die ersten Eindrücke und die Atmosphäre hier sehr gefallen
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Meine neue WG

Schweren Herzens musste ich meine "Power-WG" in Köln verlassen und mir am anderen Ende der Welt eine neue Bleibe suchen. Natürlich male ich mir meine Wohnungssuche in der Mega-Stadt in den düstersten Farben aus, werde aber recht schnell fündig: Meine neuen Mitbewohner sind total nette französische Studenten, die in meiner Gegenwart hauptsächlich Englisch sprechen. Am ersten Abend veranstalten sie einen DVD-Abend (mit "Stolz und Vorurteil", ich hätte eher an was wie"American Pie" gedacht...) und nehmen mich donnerstags gleich zum Abendessen mit ihren Freunden mit und stellen mich allen vor - ah! j'ai une faiblesse pour les francais! Bei dieser Gelegenheit stelle ich jedoch fest, dass alle anderen etwa 21-22 Jahre alt sind - o Gott! Ich bin alt! Ich bin alt! Und die von meinem Jetlag herrührenden Augenringe machen es auch nicht besser!

Aber zurück zur Wohnung selbst: Mein Zimmer ist nicht gross, das bin ich ja gewohnt... doch wir alle haben einen eigenen Balkon! Alles sehr zentral, U-Bahn, Einkaufsgelegenheiten und alles Mögliche um die Ecke, und ich brauche von meiner Haustür bis zur Galerie etwa eine halbe Stunde, was für so eine Metropole nicht schlecht ist. Eine fantastische Aussicht vom Wohnzimmerbalkon und durch die grossen Fenster alles sehr hell, aber auch etwas laut und für Shanghaier Verhältnisse nicht ganz billig (vermutlich wegen der Lage und Ausländerbonus). An der Wand hängen noch kommunistische Poster mit Mao und der roten Fibel. So wissen wir gleich, was hier so abgeht.




Blick vom Balkon in Zukunft und Vergangenheit: Vorn die kleinen Gassenhäuser, sogenannte Shikumen, hinten die glänzenden Wolkenkratzer.

Jedenfalls bin ich froh, hier zu sein und auf den ersten Eindruck eine wirklich nette WG gefunden zu haben; der einzige Wermutstropfen ist, dass meine Mitbewohner wegen der Maiferien (die ganze nächste Woche) nach Sichuan gefahren sind. Ich halte hier die Stellung, denn ich habe nicht frei, die Galerie hat auch während der Feiertage auf.

Ankunft in Shanghai

20. April 2007, 5:30. Meine Reise Richtung Osten beginnt! Allerdings muss ich von Köln aus erst Richtung Norden (Düsseldorf), dann Richtung Nordwesten (London), bevor ich schliesslich Richtung Shanghai düsen darf! Meine freudigen Flugerwartungen werden von meinem Sitznachbarn etwas getrübt: "Have you been on this flight before? It's horrible!"

Durch turbulentes Gebiet zu fliegen und labbriges Frühstück gehören tatsächlich nicht zu meinen persönlichen Highlights, aber 11 Stunden später komme ich wohlbehalten in Shanghai an. Ich versuche, mich weltmännisch (-weibisch?) und erfahren zu geben, aber da ich alles ganz offensichtlich anglotze, will mir das nicht so recht gelingen.
Ohnehin bin ich auf meinen Aufenthalt optimal vorbereitet, wie schon das Gespräch mit einer Zimmersuchenden in unserer WG bewiesen hatte: "Ah, du machst also ein Praktikum in Shanghai. Hast du schon einen Kurs für chinesische Benimmregeln mitgemacht?" - "Nein." - "Aber du sprichst chinesisch?"- "Nein." - "In einer Kunstgalerie, soso. Kennst du dich denn mit zeitgenössischer chinesischer Kunst aus?" - "Nein."

Immerhin finde ich meinen Weg zur rasanten Magnetbahn (mit 400 km/h bzw. Geschwindigkeit: volles Rohr) vom Flughafen in die Stadt und erreiche nach anfänglicher Verwirrung auch meine Jugendherberge. Hierbei stelle ich fest, dass die Chinesen mich verstehen, wenn ich sie nach dem Weg frage und verzweifelt mit meinem Stadtplan gestikuliere, denn alle haben mir die richtige Richtung angezeigt. Leider verstehe ich nicht, was sie sagen.

Im Hostel lerne ich gleich ein paar nette Leute kennen, wir gehen sehr gut chinesisch essen und ich feiere getreu meinem Motto "Heute schütte ich mich zu..." mit Whisky und Bier in meinen Geburtstag rein. Der Geburtstag an sich war leider nicht so angenehm: Nach einem guten chinesischen Frühstück (kräftig gewürzte Nudelsuppe) muss ich im strömenden Regen zur Galerie waten, und treffe dort zwar den Manager, aber der Leiter, dem ich vorgestellt werden sollte, kommt erst montags. Also schwimme ich weiter auf Wohnungssuche durch die riesige Stadt (geschätzte 20 Mio. Einwohner), bevor ich nach dieser ungemütlichen Odyssee etwas fertig in der Herberge ankomme und mit einem "Tsingtao" (bekannte chinesische Biermarke) an der Bar entspannen darf.

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