Donnerstag, 28. Juni 2007

Paradise Now

Heute mal was anderes: Carla macht einen Ausflug nach Hangzhou, bekannt für den wunderschönen Westsee und den Longjing-Tee! Der grosse Tag beginnt nach nicht mal vier Stunden Schlaf mit der Feststellung, dass ich keine achtzehn mehr bin und Jägermeister und Tequila nicht meine Freunde sind. Ich beeile mich, komme aber trotzdem zwanzig Minuten zu spät und verkatert zum Treffpunkt mit chinesischen Bekannten, Fangjuans Freunden. Mir ist es jetzt doch etwas peinlich, zumal ich den Ausflug und die frühe Zeit vorgeschlagen habe. Die so geschaffene unangenehme Grundstimmung wird nicht dadurch verbessert, dass der Zug nach Hangzhou ausgebucht ist. Ich frage mich, wie ein Zug ausverkauft sein kann, aber anscheinend ist das eine vorbeugende chinesische Massnahme, gar nicht mal so unklug bei den urlaubshungrigen Massen.

Landschaft, genauso wie man sie sich vorstellt: der weite See mit kleinen Reetbooten, dieAlso nehmen wir den Bus, den ich ohne die beiden nie gefunden hätte – wenn man kein Chinesisch spricht, gibt es Hürden, die man kaum nehmen kann (oder die Wissen, Zeit und Nerven fordern). In Hangzhou braucht es noch mal einen Bus und ein Taxi, bis wir endlich am Westsee angelangt sind. Der Westsee war oftmals ein Vorbild fuer chinesische Tuschezeichnungen, viele haben von ihm geschwärmt. Tatsächlich ist es eine wunderschöne über das Wasser zischen, kleine Inseln mit traditionellen chinesischen Häusern, schattige Wege unter Bambus und knorrigen Bäumen, grün bewaldete, sanft geschwungene Berge und die bekannte Liuhe-Pagode.

Wie das hierzulande bekannte chinesische Sprichwort sagt: Im Himmel gibt es das Paradies, auf Erden Hangzhou.

Leider sind wir nicht die einzigen auf der Suche nach dem irdischen Paradies, und der bis dato heisseste und schwülste Tag wirkt sich nicht grad positiv auf meinen Kater aus und macht den Aufstieg zur Pagode beschwerlich. Zum Glück ist in den Steinweg eine Rolltreppe eingelassen, und in der Pagode gibt es einen Fahrstuhl, es lebe der Fortschritt! Die Pagode wurde einst zerstört und wieder aufgebaut, allerdings nicht hundert pro authentisch. Doreen ist davon enttäuscht: auch mir gefallen echte alte Bauwerke besser, wenn ich auch zugeben muss, dass die Kopie gut ist.

Nach dem Essen (hiesige Spezialität: Hähnchen im Seerosenblatt) gleiten wir mit einem Boot zu den Inseln hinueber. Ich vermisse eine klare Sicht, denn es ist ein diesiger Tag, die Spitzen der Berge und Waelder verschwinden hinter der weissen Dunstschicht. Es verleiht dem Ort jedoch eine mysteriöse, beinahe unwirkliche Ausstrahlung.

Die Leute auf dem Boot neben uns winken mir fröhlich zu, ich grüsse zurück. (Auch auf einer der Inseln passiert es mir, dass zwei Chinesen ein Foto mit mir machen wollen – ich bin eine besoffene Touristenattraktion!) Auf der ersten Insel kaufen wir uns Eis und Fächer; ich sehe sogar einige Männer, die sich Luft zufächeln, was hier kaum weibisch, sondern bei der Hitze absolut notwendig ist! Die zweite Insel ist noch schöner, denn sie hat Binnenseen. Wie die Beschreibung sagt, ein See in der Insel im See.

Das Ausflugstrio vor dem legendären Westsee samt Lihue-Pagode im Hintergrund

Dann sind wir unschlüssig: Ich möchte gern das Teemuseum im Teeanbaugebiet in der Nähe sehen, da der Longjing-Tee aus dieser Gegend weithin bekannt ist – Doreens Freund möchte jedoch lieber den berühmten Tempel sehen. Doreen meint, ich würde ja bald wieder nach Deutschland fahren, während sie noch öfters nach Hangzhou kommen könnten; also wird beschlossen, dass wir ins Teemuseum gehen. Das erweist sich als schlechte Idee, denn es gibt keinen direkten Bus dorthin und kein Taxifahrer will uns mitnehmen. Für sie ist es zu nah, um mit der Fahrt gut zu verdienen, für uns hingegen zu weit zum Laufen. Später erfahre ich, dass der Tempel ganz in unserer Nähe war – und ich entschuldige mich, das wäre weit besser gewesen. Wir machen Witze über die Taxifahrer und dass extra für uns alles geschlossen wird. Doreen fragt mich: “Bist du enttäuscht, dass du das Teemuseum nicht sehen konntest?” – “Ein wenig. Aber weisst du, so hat man immer einen Grund, zurückzukommen.”

Nach einem kurzen Spaziergang auf der anderen Seite des Sees besuchen wir die kleine Altstadt: kleine Stände, antike Häuserfassaden, ein Laden mit chinesischer Medizin, ein Goldbuddha und ein traditionelles Teehaus erwarten uns.

Im holzvertäfelten Teehaus sind die Kellner sehr typisch, bis an die Grenze zum Klischee gekleidet: Blaue Uniform mit rundem Hütchen und langen Zopf hinten. Ich trinke den mehrfach erwähnten Longjing-Tee (kann allerdings keinen Unterschied ausmachen), während Doreen und ihr Freund einen anderen lokalen Tee ausprobieren, der kalt serviert wird. Ich hätte gedacht, dass diese für mich neue Entdeckung (kalter Tee) meinen chinesischen Bekannten vermutlich geläufig ist, aber auch die beiden sind erstaunt, ebenso über die unerwartete Action: Die Kellner machen das Eingiessen zur Performance, wirbeln die Giesskannen ähnlichen goldenen Teebehälter kunstfertig in der Luft herum, garnieren dies mit wohlkalkulierten tänzerischen Bewegungen und giessen den Tee dann ueber den Rücken oder von oben in einer Art Vogelposition in die Tasse. Wir bestellen mehrmals einen neuen Wasseraufguss und staunen jedes Mal.

Teehaus und Kellner in traditionellem Gewand: Theater oder Wirklichkeit?

Die Zeit drängt – unser Zug fährt ab. Ich würde diesen Ort gern noch einmal besuchen, denn die Zeit war zu knapp und der Tag zu heiss, um Hangzhou vollends schätzen und geniessen zu koennen. Es entspricht meinem Aufenthalt in China: Ich kann nicht alles sehen und kennen lernen, viele Wuensche bleiben unerfüllt. Aber ich kann einen Eindruck, den Hauch eines Geschmacks von dem Leben hier gewinnen und eine Weile davon zehren. Am Ende kann man ohnehin nicht mehr als Erinnerungen und Träume im Gepäck mit sich führen, und den festen Wunsch, zurückzukehren.

Sonntag, 10. Juni 2007

Inventur!

Was mache ich also in der Galerie? Neben der Kundenbetreuung - vor allem sonntags, wenn ich und die chinesische Kollegin nur zu zweit sind – ist meine Hauptaufgabe Ordnung schaffen! Wenn die wüssten, wen sie sich da ins Haus geholt haben… Meine Kölner WG und meine Eltern rollen sich jetzt wahrscheinlich auf dem Boden vor Lachen.

Zwei meiner Kollegen: Qiu Hoa, der für das Auktionshaus arbeitet, und Li Jun, der Topfotograf, sich mittlerweile eine Auszeit genommen hat, um zu malen

Ich hingegen sollte kurz nach Beginn für die Inventur verantwortlich sein. Nicht so einfach, wenn man die Namen der Künstler noch nicht besonders gut kennt, Bilder nicht sofort identifizieren kann (am besten noch eine Serie mit sehr ähnlich aussehenden Werken!) und die Sachen überall in der Galerie verteilt sind.

Die meisten Programme im Computer sind auf chinesisch und machen jeden Arbeitstag von neuem zu einem Erlebnis. Am besten ist es, wenn ich aus Versehen irgendeinen Knopf gedrückt habe und wieder meine chinesische Kollegin fragen muss: “Kate, I think I just hit some button again… and this screen just popped up… can you please have a look, I don’t know what it says!”


Für das Foto möchte ich Arbeitswut und strebsame Emsigkeit simulieren, aber irgendwie betrachte ich meinen chinesischsprachigen Computer mit derselben Distanzierung und Verwirrung wie immer - vielleicht werden wir doch noch Freunde, auch wenn wir uns nicht verstehen!

(Ich habe mich auch schon immer gefragt, wie man chinesische Zeichen in den Computer eingibt: Nach Befehl zum Zeichenmodus schreibt man in der Pinyin-Umschrift, z.B. He Yunchang, und der Computer wandelt dies dann automatisch in die Schriftzeichen um.)

Zum Glück ist der Werkkatalog nicht auf Chinesisch, sonst hätte mich die Inventur richtig ins Schwitzen gebracht. Aber auch so war es schon nervenaufreibend genug: Mit hehrer Kunst im Wert von jeweils mehreren tausend Euro herumzuhantieren entspricht nicht meiner Vorstellung einer entspannten Arbeitswoche: Heute sind umgerechnet 100.000 Euro durch meine Hände gegangen! Was Börsenmagnaten das unwiderstehliche Gefühl von Macht verleiht, beschert mir nur Magengrummeln.

Nun weiss ich, warum ich Theater so mag: Da kann man nicht so viel kaputtmachen. Vielleicht stört mal jemand an einem Abend die Aufführung, aber was solls, dann spielt man einfach weiter. Und hat am nächsten Tag eine neue Chance. Aber wehe, wenn du bildende Kunst fallen lässt, kurz falsch anpackst, Schrammen oder Dellen verursachst! Schon schlimm genug, wenn man den Abzug einer limitierten Fotoserie oder den Abguss einer Skulpturedition beschädigen würde – doch ein Gemälde ist unwiederbringlich!

Mit diesen Gedanken im Sinn traue ich mich kaum, irgend etwas zu berühren. Die Inventur hat zudem noch einen seltsamen Effekt auf mich: Kunst wird zur Alltäglichkeit. Man kann sie anfassen und kaufen. Frueher waren Kunstwerke für mich magisch, unbezahlbar und jenseits aller irdischen Zuordnungen. Hier zwänge ich alles brav in Titel, Künstlername, Herstellungsdatum, signiert / nicht signiert, zu verkaufen / nicht zu verkaufen / verkauft / geliehen…
Kunst ist Ware und muss als solche katalogisiert warden. Es hat eine Weile gedauert, bis ich diese “Kommerzialisierungsphase” überwunden habe und jetzt nicht mehr denke: Wie breit und hoch? Wann angefertigt? Wer? Was für eine Edition und Nummer? Jetzt sehe ich wieder Kunst.

Zu der Katalogisierung kamen allerdings auch die Bilder: Fotografieren macht natürlich Spass. Mit einer hochwertigen Kamera um den Hals fühlt man sich gleich 10 Grad cooler. Ich bin ein Kommentator! Dokumentator! Ich fange das Zeitgenössische ein! Klick! Klick! Klick!
Und dann hat man ein verwackeltes, unscharfes Bild in der Kamera und ist gleich viel weniger cool. Ein Bild von einem Bild zu machen, ce n'est pas une pipe, das ist keine Pfeife! Aber ich habe auch ein paar richtig gute gemacht.

Und neben der Büroarbeit gibt es auch immer einige Highlights, wie zum Beispiel die Eröffnung einer neuen Ausstellung jeden Monat (!) und neulich sogar die erste Auktion!

Freitag, 8. Juni 2007

Working Girl

Ich habe bisher recht wenig über mein Praktikum geschrieben - bis auf die Einführung, da könnte man leicht den Verdacht hegen, ich würde meine Zeit hier eher in Bars, Clubs, Parks oder wer weiss wo verbringen, aber tatsächlich bin ich tagsüber sehr fleissig. Oder versuche es zu sein.

Das morgendliche Szenario sieht meistens so aus: Die Franzosen sind entweder schon auf dem Weg zur Arbeit oder sitzen frisch geduscht im Wohnzimmer/Gemeinschaftsraum auf dem Sofa und checken schon ihre Mails, arbeiten am Computer an ihrer Junior Consulting Company und unterhalten sich mit ihrer chinesischen Sprachpartnerin.

Die Deutsche kriecht total verschlafen im Chewbacca-Look aus ihrem Zimmer und verschwindet im Bad, von wo aus sie später geduscht, aber nicht grade geschniegelt in die Küche rudert, um etwas Essbares abzugreifen. Mal wieder viel zu spät und schon leicht verschwitzt (wofür eigentlich die Dusche?) rennt sie zur U-Bahn und marschiert danach strammen Schrittes vom Hauptbahnhof zur Galerie.

Schliesslich gelange ich zur Moganshan Lu 50: In diesem Art District findet man Galerien, Ausstellungen, Ateliers, alles zum Künstlerbedarf und zur Rahmenanfertigung, Buchläden und Cafés. Mittlerweile hat sich auch das eine oder andere Modegeschäft hinzugesellt – der Kunstdistrikt hat sich allmählich zum Tipp für Touristen entwickelt. Tatsächlich sind die meisten Galeristen nicht aus China – die Top-Galerie ShanghArt wird beispielsweise von einem Schweizer geleitet, das Art Scene Warehouse von einem Kanadier und einem Amerikaner. Mein Chef ist einer der wenigen Chinesen und Künstler, die hier eine Galerie leiten; ansonsten gibt es in meiner Galerie noch eine chinesische und eine englische Kollegin sowie den italienischen Manager.

Eingang zur Moganshan Lu 50, State of Art

Was auffällig ist: Die meisten unserer Kunden kommen auch aus dem Ausland, Amerika, Europa, Australien. Chinesen mit Geld investieren lieber in traditionelle chinesische Kunst und Antiquitäten. Sie interessieren sich zwar sehr für moderne Kunst, aber es hat fuer sie noch nicht den Wert eines Sammlerobjekts oder Statussymbols. Kunstkritiker meinen jedoch, dass die nächste Generation, die im Ausland studiert und dort eine Begeisterung für die dortige zeitgenössische Kunst entwickelt, dann auch chinesische Kunst kaufen wird.

Insgesamt finde ich den Kunstbetrieb hier sehr angenehm. Ich habe mittlerweile von Kollegen oft gehört, dass es andernorts schwieriger ist, fuer Galeristen wie fuer Kunden. Galeristen muessen härter daran arbeiten und viel feinfühliger vorgehen, um Kundschaft für sich zu gewinnen – dafür haben sie oft nur wenige Sekunden.
Hier nehmen sich die Galeriebesucher Zeit, sich alle Bilder genau anzusehen und vielleicht auch mit den Galeristen darueber zu sprechen.

Auch für den Besucher ist es freundlicher: In Deutschland habe ich als Student nie einen Fuss in eine Galerie gesetzt, da ich immer gedacht habe, eine Galerie ist kein Museum. Dort wird Kunst verkauft und nicht gezeigt. Wenn man kein potentieller Kunde ist, hat man dort auch nichts zu suchen. Vielleicht ist das nur mein persönlicher Eindruck von der Galerieszene, vielleicht hätte ich es mal ausprobieren sollen. Allerdings habe ich mir zumindest von einem Amerikaner sagen lassen, dass die Szene in New York / Chelsea schon sehr exklusiv ist.
Hier darf der Besucher sich in Ruhe umschauen, egal ob er Sammler, Student, oder Tourist ist. Nach einer Weile wird er angesprochen und man erzählt ihm etwas über die Ausstellung, wenn er Fragen hat.

Damit sind wir auch schon bei der Frage, die ich bereits öfters gehört habe: Was genau machst du dort eigentlich?


Wein trinken! Finissage der Ausstellung von Island 6 in lauschiger abendlicher Stimmung

Dienstag, 29. Mai 2007

Auktion

Ahnungslos wie immer: Ich habe noch nie eine Auktion mitgemacht. Als bisherige Studentin auch kein Wunder, denn wie soll das gehen, nach dem Motto, heut verfeuer ich die Miete, denn wer braucht schon eine Wohnung, wenn man ein Gemälde haben kann?
Aber Menschen sind Jäger und Sammler, und nichts ist so aufregend wie das Erlebnis, jemand anderem grad ein exklusives Kunstwerk abgejagt zu haben (für Studenten gibt es immerhin den Flohmarkt, zum Trost!).
Meine Galerie veranstaltet also ihre erste Auktion. Da alles möglichst professionell wirken soll, gibt es eine Extra-Auktionsfirma, die mit der Galerie verbunden ist und alles die Auktion Betreffende organisiert; ausserdem wird beschlossen, dass die Toilette renoviert werden soll.
Ersteres führt dazu, dass wir von der Galerie zu Beginn keine Ahnung haben, wie alles ablaufen soll und den Fragen etwaiger Besucher hilflos ausgesetzt sind. Das zweite, die Renovierung, fängt gleichzeitig mit der Vorschau für die Auktion an. Die Interessenten sehen sich die ausgestellten Kunstwerke unter lautem Gehämmer, Geklopfe und Gebohre an, während wir sie anbrüllen, ob wir ihnen vielleicht helfen können oder sie einen Katalog möchten.


Zhang Tiemei, Chinese Opera No. 19: Gemälde ohne Geräuschkulisse! Waehrend der Auktion wurde eines der zwei Bilder verkauft, danach sind noch weitere der Serie an einem Tag weggegangen wie Freibier.

Dennoch, nichts anmerken lassen, Form wahren! Die Auktion selbst soll relativ schnell vonstatten gehen; bei mir meldet sich natürlich das Verlangen nach Show. Ich frage, warum es denn keine kurze Präsentation des jeweiligen Künstlers und Werkes gibt, aber das nähme zuviel Zeit in Anspruch (bei 115 Werken!) und sei nicht üblich. Wer mehr wissen wolle, könne den Katalog zu Rate ziehen.

Liu Rentao, Sunrise Impressed. Hier kann man mal sehen, wie die westliche Kunst die chinesische Szene inspiriert: Ein chinesische Landschaft mit einem Helikopter aus modernen Zeiten im Stil Monets!

Mein Verlangen nach Show soll aber noch Folgen haben: Ich hatte ja schon zuvor berichtet, dass ich mich scheue, die Werke anzufassen, da ich von kleinauf mein Faible fuer Missgeschicke unter Beweis gestellt habe, oder wie eine Freundin von mir sagte: "Ich hab schon öfters Kaffee fliegen sehen." Leider stehe ich direkt daneben, als mein Chef den Manager beauftragt, hinter den Kulissen zu stehen und die Bilder rauszutragen: "Und Carla kann ja auch mithelfen." - Ich sehe mich schon in Gedanken mit einem megateuren Kunststück hinknallen: "Um... ja, aber die sind doch so wertvoll, soll ich da wirklich..." - "Kein Problem, du bekommst Handschuhe." Was natürlich das oben angedachte Problem total löst.

Es wird auch nicht besser, als der Auktionator alles auf Chinesisch anpreist und wir hinter den Kulissen zuerst keine Ahnung haben, welches Bild wir grad zeigen sollen. Ich trage gemessenen Schrittes die ersten Werke hinaus, zum Vergnügen eines Freundes total asynchron zur Ankündigung, und blicke leicht verschwitzt in die Runde: Wer möchte bitte ein Bild von diesem unglücklich aussehenden Maedchen kaufen? Und klar, ich darf auch das Bild mit dem höchsten Schätzwert raustragen: Ein Hase von Liu Xiaodong, der das bis dato höchstversteigerte Werk chinesischer zeitgenössischer Kunst gemalt hat. Dementsprechend hoch steht auch der Hase im Kurs, und ich trage wahnsinnige 70.000 Euro (in Worten: Siebzigtausend) über die Bühne.

Zum ersten, zum zweiten, zum dritten: Hier kommt die zeitgenössische chinesische Kunst unter den Hammer!

Aber nicht nur für mich ist das Ganze nervenaufreibend: Mein Mitbewohner sitzt im Publikum, fährt sich mit der Hand durchs Haar und wird sofort vom Auktionator fixiert. Schockiert reisst er sofort die Hand runter, um bloss nicht als Mitbieter zu gelten. Das passiert ihm noch ein zweites Mal.

Am Ende bin ich sehr stolz, da ich alles unversehrt präsentiert und sicher an seinen Platz zurückgebracht habe. Der Erfolg der Auktion hingegen war nicht so wie erhofft: Zwar wurde einiges versteigert, doch nicht der geplante Schnitt erzielt. Die Werbung war jedoch super, es kommen immer wieder Leute und fragen nach noch nicht verkauften Bildern oder wollen andere Werke derselben Künstler. Man wird vielleicht nicht von heute auf morgen Sotheby's oder Christies's, aber: Art sells. Always.

Shanghai bei Nacht

Sobald die Sonne untergeht, entflieht das bunte Treiben der Strassen Shanghais nach und nach in die Garküchen, Restaurants, Bars und Clubs. Diesem Sog kann man sich nicht entziehen, dieses Nachtleben macht süchtig nach mehr!
Ein Donnerstagabend in Shanghai: Mein Mitbewohner Max, Sophie und ich treffen uns zunächst im Restaurant Azul und beginnen den Abend mit einem erlesenen Tapas-Menü: Auf blütenweissen Tischdecken werden uns Austern, Shrimps-Salat mit Avacado, Carpaccio nebst Rotwein und anderen Delikatessen serviert. Dazu kredenzen wir selbst Klatsch und Tratsch.
Von diesem feinen Etablissement begeben wir uns in die gegenüberliegende schmierige Spelunke, da es dort einen Billardtisch gibt! Allerdings zögern wir zunächst einzutreten - Sophie hegt den Verdacht, dass sich bei dieser Location um eine Prostituierten-Bar handelt.
Ich betrachte das Ganze naiv wie immer und denke, ok, die Mädels sind zwar ein bisschen zu schick für den schäbigen Laden angezogen, aber vielleicht kennen sie den Besitzer und wollen einfach ein bisschen Stimmung machen...
Letztendlich heisst es Hauptsache Bier und Billard, also hinein. Max schaut sich kurz um: "Ah, ich glaube, es ist genau, was du gedacht hast, Sophie..."

Dieses Foto habe ich in einer anderen Strasse voll mit diesen bestimmten Bars geschossen - auch wenn man die Leuchtschrift nicht so gut lesen kann, die Farbe ist unmissverständlich: Willkommen im Puff "Hilda"!

Was die anderen Leute da gemacht haben, weiss ich nicht - wir haben jedenfalls zwei züchtige Billardspielchen absolviert und ich habe mal wieder unter Beweis gestellt, knapp daneben ist auch vorbei.
Als nächstes wieder ab ins Taxi, dem nächtlichen Fortbewegungsmittel, und von der Französischen Konzession streben wir dem anderen Event-Distrikt entgegen: dem sogenannten Bund, der Riesenstrasse entlang des Huangpu-Flusses.
Carla: "In welche Bar gehen wir denn?" Max: (antwortet etwas, das wie "Larry's" klingt). Ich stelle mir das also wie eine leicht ranzige Kneipe mit verrauchtem Holz und alter Theke vor, eine Mischung aus American Sportsbar und Irish Pub vielleicht, und denke, ah ja, ein nettes Bierchen bei Larry...
Dort angekommen entpuppt sich der joviale Larry als "Laris" mit gefliestem Boden, Marmordekor, stylisher Beleuchtung, weiss-edlen Sitzgelegenheiten und schmuck gekleideten Gästen. Meine erste Befangenheit wird schnell durch das Tagesangebot beiseite gefegt: zwei Martinis zum Preis von einem!










Max an der wunderschön angeleuchteten Glasbar und Sophie auf der Tanzfläche
Zumal Martini nicht gleich Martini ist: Ob üblich für Shanghai oder China, hier wird er als Fruchtcocktail geliefert. Ich entscheide mich für Mint-Orange und Lychee (Litschi?) und bin mit jedem Schluck im Himmel. Dann machen wir eine Weile die Tanzfläche unsicher; in meinem Elan erwische ich das Glas von Max' temporärem Schwarm und biete ihr einen neuen Martini an. Leider verträgt sie den Alkohol nicht mehr so gut, und der Abend ist leider schnell vorbei.
Nach kurzen Gewissensbissen ziehen wir weiter in die legendäre Bar Rouge mit Dachterasse und einer atemberaubenden Aussicht über den Bund. Sophie zeigt mir den Oriental Pearl Tower von diesem speziellen Perspektive aus: "When I saw this the first time, I wondered, is that really phallic or is it just my mind?" Ich sehe mir das Gebilde mit einer kleinen Kugel am Ende des langen Turms und zwei grossen unten genau an: "No, I'm afraid it's not your mind, Sophie." Und das Wahrzeichen Shanghais strahlt uns fröhlich mit schillernden Farben von der anderen Seite des Flusses entgegen.








Dachterrasse mit Ausblick - the place to be, Bar Rouge
Ein kurzer Stunt an der Bar und auf dem Parkett, dann werden die Lampen aufgedreht, und die Dunkelheit vom Licht verdrängt: Hier endet unsere Nacht für heute. Aber morgen ist auch noch ein Tag... und eine neue Nacht.

Wer sind wir?

Wenn man ins Ausland geht, erfährt man nicht nur etwas über die Heimat anderer, sondern auch über sein eigenes Land. Man lernt, mit den Augen der anderen zu sehen - auch sich selbst. Was denken die Chinesen eigentlich über die Deutschen?

Zu dieser Frage kommt natürlich die passende Rahmenveranstaltung: Zum 100jährigen Bestehen der Tongji-Universität veranstaltet die deutsche Fakultät einen chinesisch-deutschen Abend, zu dem Christian mich eingeladen hat. So schmuggle ich mich inkognito unter die Tongji-Eleven und erlebe einige Überraschungen.

Ich wappne mich für lange Reden von den Honorationen, aber diese halten sich kurz: Der Abend soll vor allem im Zeichen der Studenten und der Unterhaltung stehen! Auch die Moderation wird von vier Studenten (darunter Christian) übernommen, die zwischendurch erzählen, warum sie Shanghai gewählt haben und Chinesisch studieren bzw. wo sie schon in Deutschland waren und warum sie Deutsch studieren. Die Antworten wurden natürlich ETWAS vorbereitet, sind aber dennoch erstaunlich: Die Chinesen lieben nicht nur die deutsche Kultur, sondern besonders die späteren Möglichkeiten in der Wirtschaft machen dieses Studium so attraktiv. Das Riesenland China mit ungeahnten wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Ressourcen nimmt unser vergleichsweise niedliches kleinen Domizil als Vorbild, nun ja, das sollten mal alle Pessimisten hören, die immer noch meinen, Deutschland sei auf dem absteigenden Ast und könne eh nirgends mehr mithalten... Und so schlimm die Kulturkürzungen auch sind: Wir sind immer noch ein Land, in der sich auch Kleinstädte ein eigenes Theater leisten können - was bei uns Status Quo ist, gibt es anderwo oft nicht mal!


Aber heute Abend widmen wir uns nicht Wirtschaft und Finanzen oder "German Angst" und Pessimismus, sondern der Kultur: Violinenspiel, zweisprachige Peking-Oper, Theaterstücke -und Popmusik.

Hierbei sind die Grenzen fliessend: Ein eher massig gebauter Chinese singt auf deutsch das klassische Musikstück von der Forelle, so zärtlich und OHNE Akzent, dass mir der Kiefer runterklappt. Christian und sein Chor erfüllen die Aula zunächst mit deutschen, dann wunderschönen chinesischen Klängen; eine andere deutsche Gruppe rockt das Publikum mit einem chinesischen Hit; und ein weiterer chinesischer Deutschstudent bietet ein Lied von den Prinzen dar. Besonders beliebt sind anscheinend Märchen: die Chinesen spielen uns unter anderem Rotkäppchen und der böse Wolf sowie den Froschkönig vor.

Märchen ist das Stichwort, denn hier erlebe ich nicht nur China aus deutscher Sicht, sondern sehe auch Deutschland vom chinesischen Blickwinkel aus. Mein Kollege Qiu Hoa sagte mir einmal: "Für uns Chinesen ist es ein Traum, ins Ausland zu gehen. Es ist wie ein Märchen." Für uns ist China mit seiner jahrtausendalten Kultur und wundersamen Andersartigkeit ein exotisches, geheimsnisvolles Land - und man kann sich kaum vorstellen, dass sie unser Land vielleicht so ähnlich sehen.
Was uns allzu bekannt, alltäglich und selbstverständlich scheint, kommt für sie aus einer anderen Welt und hat eine magische Wirkung auf sie. Und erst mit ihren Augen kann man sie erkennen.
So seltsam es auch klingt: Die Ferne bringt einen dem eigenen Land wieder näher.

Nächtliche Magie im alten China: Hier sind die Bäume nicht lediglich zu Werbezwecken oder zu Weihnachten mit Lichtern geschmückt, sondenr leuchten dir immer

Dienstag, 22. Mai 2007

Ernst ist das Leben, heiter die Kunst

Nach der vorherigen Erzählung: Es war einmal eine Party... kommen wir jetzt wieder zum Kultur-Teil. Ying Fangjuan arbeitet auch in einer Galerie und hat mich zur Eröffnung der neuen Austellung eingeladen, die am Nachmittag vor der römischen Party stattfinden. Ich war vorher schon einmal dort, als noch Bilder im klassischen Stil dort zu sehen waren:



Noble Ausstattung: Dunkles Mobiliar, Teppich, Kronleuchter und ein Flügel zur musikalischen Untermalung

Ich komme gerade noch rechtzeitig zur Eröffnung an und stehe neben Fangjuan (im Chinesischen werden die Nachnamen zuerst genannt) strategisch günstig am Buffet, als eine elegante Dame mit ihrer Rede beginnt - von der ich leider wieder nichts verstanden habe. Der Maler Hsia Yan ist ein älterer netter Herr, der wie ein chinesischer Peter Ustinov aussieht und sich kurz, aber freundlich für das Interesse bedankt.

Fangjuan versorgt mich sofort mit einem Glas Wein und Hors d' oeuvres, die wohlfeile Formulierung für 'Häppchen' bei besonderen Anlässen - es gibt Obst und unglaublich leckeren Kuchen, wer würde da nicht gern zu einer Eröffnung gehen... Zu den Klängen von Klaviermusik betrachten wir die Bilder: Der Künstler steht in der Tradition der chinesischen Tuschezeichnungen, was den Hintergrund betrifft, doch seine Pinselführung in den Details ist eher modern. Mit wenigen, fedrigen Strichen malt er Pferde, die über das Feld zu fliegen scheinen, spiralenförmig angeordnete Linien ergeben ein Gesicht, und kleine ausgeschnittene Partikel ergeben Blumenfelder und Tischgedecke wie ein Mosaik.

Die Bilder sind in ihrem schlichten Konzept und ihrer vorsichtig-liebevollen Anordnung der Details wie traditionelle chinesische Malerei in modernem Gewand. Neben einer eigenwilligen Interpretation der Mona Lisa findet man auch Selbstportraits und die Darstellungen chinesischer Legenden. Auf einem Bild sieht man eine Frau und zwei Männer: Fangjuan versucht, mir die Geschichte zu erklären (anscheinend ist sie etwas kompliziert). Obwohl ich es nicht wissen kann, errate ich durch die Ausstrahlung, dass es sich um eine Dreiecksgeschichte mit Ehemann und Liebhaber handelt. Manche Signale sind vermutlich universell, und der Maler hat es subtil, aber auch für mich lesbar dargestellt. Das andere Bild ist die Legende eines Feuerregens, der die Erde zerstört. Im Vordergrund sieht man die Göttin, welche die Flammen löscht und den Schaden anschliessend behebt.

Mit künstlerischer Kollegin Ying Fangjuan vor dem Bild einer chinesischen Berglandschaft. Was ich so stolz festhalte, ist der Katalog mit Signatur des Künstlers.

Das Bild, vor dem wir hier stehen, ist mir ein Rätsel: Rechts unten, am Ende dieser chinesischen Felsenlandschaft, geht ein Mann im Anzug mit einem Koffer entlang. Kein blosses Landschaftsbild? Doch wenn ein Mensch, warum kein Mönch, kein Reisender, kein Geniesser? Warum ein Businessmann mit Aktenkoffer, der in dieser monumentalen, ruhigen Darstellung Signale der Hektik aussendet?

Ich hätte den Maler fragen sollen. Vielleicht hat der Finanzier keine Zeit für entspannende Landschaftsbetrachtungen und kehrt der Schönheit den Rücken? Oder im Gegenteil, er wendet sich von dem zerklüfteten hohen Berg ab, er muss diesen unerreichbaren Gipfel nicht mehr erklimmen. Oder ist er ein moderner Sisyphus, der statt eines Felsens den Aktenkoffer als Bürde hat und zudem auch noch in die falsche Richtung geht?

Manchmal merkt man erst viel später, dass man sich falsche Lasten auferlegt und nicht den richtigen Weg eingeschlagen hat, dass man nicht jeden Berg, den man sieht, auch erklimmen muss, um ihn zu begreifen. Das ist nur meine Interpretation, doch das ist vielleicht ein Ziel der Kunst: Eine verborgene Saite in jedem Menschen anrühren, ihm die Augen für das öffnen, was er selbst nicht sieht und nicht erkennt. Darum ist der einzige Mensch, in dem man sich auf dem Bild wiedererkennen kann, ein Mensch mit Aktenkoffer auf dem Weg ins Nichts: Denn das ist der moderne Mensch.