Donnerstag, 28. Juni 2007

Paradise Now

Heute mal was anderes: Carla macht einen Ausflug nach Hangzhou, bekannt für den wunderschönen Westsee und den Longjing-Tee! Der grosse Tag beginnt nach nicht mal vier Stunden Schlaf mit der Feststellung, dass ich keine achtzehn mehr bin und Jägermeister und Tequila nicht meine Freunde sind. Ich beeile mich, komme aber trotzdem zwanzig Minuten zu spät und verkatert zum Treffpunkt mit chinesischen Bekannten, Fangjuans Freunden. Mir ist es jetzt doch etwas peinlich, zumal ich den Ausflug und die frühe Zeit vorgeschlagen habe. Die so geschaffene unangenehme Grundstimmung wird nicht dadurch verbessert, dass der Zug nach Hangzhou ausgebucht ist. Ich frage mich, wie ein Zug ausverkauft sein kann, aber anscheinend ist das eine vorbeugende chinesische Massnahme, gar nicht mal so unklug bei den urlaubshungrigen Massen.

Landschaft, genauso wie man sie sich vorstellt: der weite See mit kleinen Reetbooten, dieAlso nehmen wir den Bus, den ich ohne die beiden nie gefunden hätte – wenn man kein Chinesisch spricht, gibt es Hürden, die man kaum nehmen kann (oder die Wissen, Zeit und Nerven fordern). In Hangzhou braucht es noch mal einen Bus und ein Taxi, bis wir endlich am Westsee angelangt sind. Der Westsee war oftmals ein Vorbild fuer chinesische Tuschezeichnungen, viele haben von ihm geschwärmt. Tatsächlich ist es eine wunderschöne über das Wasser zischen, kleine Inseln mit traditionellen chinesischen Häusern, schattige Wege unter Bambus und knorrigen Bäumen, grün bewaldete, sanft geschwungene Berge und die bekannte Liuhe-Pagode.

Wie das hierzulande bekannte chinesische Sprichwort sagt: Im Himmel gibt es das Paradies, auf Erden Hangzhou.

Leider sind wir nicht die einzigen auf der Suche nach dem irdischen Paradies, und der bis dato heisseste und schwülste Tag wirkt sich nicht grad positiv auf meinen Kater aus und macht den Aufstieg zur Pagode beschwerlich. Zum Glück ist in den Steinweg eine Rolltreppe eingelassen, und in der Pagode gibt es einen Fahrstuhl, es lebe der Fortschritt! Die Pagode wurde einst zerstört und wieder aufgebaut, allerdings nicht hundert pro authentisch. Doreen ist davon enttäuscht: auch mir gefallen echte alte Bauwerke besser, wenn ich auch zugeben muss, dass die Kopie gut ist.

Nach dem Essen (hiesige Spezialität: Hähnchen im Seerosenblatt) gleiten wir mit einem Boot zu den Inseln hinueber. Ich vermisse eine klare Sicht, denn es ist ein diesiger Tag, die Spitzen der Berge und Waelder verschwinden hinter der weissen Dunstschicht. Es verleiht dem Ort jedoch eine mysteriöse, beinahe unwirkliche Ausstrahlung.

Die Leute auf dem Boot neben uns winken mir fröhlich zu, ich grüsse zurück. (Auch auf einer der Inseln passiert es mir, dass zwei Chinesen ein Foto mit mir machen wollen – ich bin eine besoffene Touristenattraktion!) Auf der ersten Insel kaufen wir uns Eis und Fächer; ich sehe sogar einige Männer, die sich Luft zufächeln, was hier kaum weibisch, sondern bei der Hitze absolut notwendig ist! Die zweite Insel ist noch schöner, denn sie hat Binnenseen. Wie die Beschreibung sagt, ein See in der Insel im See.

Das Ausflugstrio vor dem legendären Westsee samt Lihue-Pagode im Hintergrund

Dann sind wir unschlüssig: Ich möchte gern das Teemuseum im Teeanbaugebiet in der Nähe sehen, da der Longjing-Tee aus dieser Gegend weithin bekannt ist – Doreens Freund möchte jedoch lieber den berühmten Tempel sehen. Doreen meint, ich würde ja bald wieder nach Deutschland fahren, während sie noch öfters nach Hangzhou kommen könnten; also wird beschlossen, dass wir ins Teemuseum gehen. Das erweist sich als schlechte Idee, denn es gibt keinen direkten Bus dorthin und kein Taxifahrer will uns mitnehmen. Für sie ist es zu nah, um mit der Fahrt gut zu verdienen, für uns hingegen zu weit zum Laufen. Später erfahre ich, dass der Tempel ganz in unserer Nähe war – und ich entschuldige mich, das wäre weit besser gewesen. Wir machen Witze über die Taxifahrer und dass extra für uns alles geschlossen wird. Doreen fragt mich: “Bist du enttäuscht, dass du das Teemuseum nicht sehen konntest?” – “Ein wenig. Aber weisst du, so hat man immer einen Grund, zurückzukommen.”

Nach einem kurzen Spaziergang auf der anderen Seite des Sees besuchen wir die kleine Altstadt: kleine Stände, antike Häuserfassaden, ein Laden mit chinesischer Medizin, ein Goldbuddha und ein traditionelles Teehaus erwarten uns.

Im holzvertäfelten Teehaus sind die Kellner sehr typisch, bis an die Grenze zum Klischee gekleidet: Blaue Uniform mit rundem Hütchen und langen Zopf hinten. Ich trinke den mehrfach erwähnten Longjing-Tee (kann allerdings keinen Unterschied ausmachen), während Doreen und ihr Freund einen anderen lokalen Tee ausprobieren, der kalt serviert wird. Ich hätte gedacht, dass diese für mich neue Entdeckung (kalter Tee) meinen chinesischen Bekannten vermutlich geläufig ist, aber auch die beiden sind erstaunt, ebenso über die unerwartete Action: Die Kellner machen das Eingiessen zur Performance, wirbeln die Giesskannen ähnlichen goldenen Teebehälter kunstfertig in der Luft herum, garnieren dies mit wohlkalkulierten tänzerischen Bewegungen und giessen den Tee dann ueber den Rücken oder von oben in einer Art Vogelposition in die Tasse. Wir bestellen mehrmals einen neuen Wasseraufguss und staunen jedes Mal.

Teehaus und Kellner in traditionellem Gewand: Theater oder Wirklichkeit?

Die Zeit drängt – unser Zug fährt ab. Ich würde diesen Ort gern noch einmal besuchen, denn die Zeit war zu knapp und der Tag zu heiss, um Hangzhou vollends schätzen und geniessen zu koennen. Es entspricht meinem Aufenthalt in China: Ich kann nicht alles sehen und kennen lernen, viele Wuensche bleiben unerfüllt. Aber ich kann einen Eindruck, den Hauch eines Geschmacks von dem Leben hier gewinnen und eine Weile davon zehren. Am Ende kann man ohnehin nicht mehr als Erinnerungen und Träume im Gepäck mit sich führen, und den festen Wunsch, zurückzukehren.

Sonntag, 10. Juni 2007

Inventur!

Was mache ich also in der Galerie? Neben der Kundenbetreuung - vor allem sonntags, wenn ich und die chinesische Kollegin nur zu zweit sind – ist meine Hauptaufgabe Ordnung schaffen! Wenn die wüssten, wen sie sich da ins Haus geholt haben… Meine Kölner WG und meine Eltern rollen sich jetzt wahrscheinlich auf dem Boden vor Lachen.

Zwei meiner Kollegen: Qiu Hoa, der für das Auktionshaus arbeitet, und Li Jun, der Topfotograf, sich mittlerweile eine Auszeit genommen hat, um zu malen

Ich hingegen sollte kurz nach Beginn für die Inventur verantwortlich sein. Nicht so einfach, wenn man die Namen der Künstler noch nicht besonders gut kennt, Bilder nicht sofort identifizieren kann (am besten noch eine Serie mit sehr ähnlich aussehenden Werken!) und die Sachen überall in der Galerie verteilt sind.

Die meisten Programme im Computer sind auf chinesisch und machen jeden Arbeitstag von neuem zu einem Erlebnis. Am besten ist es, wenn ich aus Versehen irgendeinen Knopf gedrückt habe und wieder meine chinesische Kollegin fragen muss: “Kate, I think I just hit some button again… and this screen just popped up… can you please have a look, I don’t know what it says!”


Für das Foto möchte ich Arbeitswut und strebsame Emsigkeit simulieren, aber irgendwie betrachte ich meinen chinesischsprachigen Computer mit derselben Distanzierung und Verwirrung wie immer - vielleicht werden wir doch noch Freunde, auch wenn wir uns nicht verstehen!

(Ich habe mich auch schon immer gefragt, wie man chinesische Zeichen in den Computer eingibt: Nach Befehl zum Zeichenmodus schreibt man in der Pinyin-Umschrift, z.B. He Yunchang, und der Computer wandelt dies dann automatisch in die Schriftzeichen um.)

Zum Glück ist der Werkkatalog nicht auf Chinesisch, sonst hätte mich die Inventur richtig ins Schwitzen gebracht. Aber auch so war es schon nervenaufreibend genug: Mit hehrer Kunst im Wert von jeweils mehreren tausend Euro herumzuhantieren entspricht nicht meiner Vorstellung einer entspannten Arbeitswoche: Heute sind umgerechnet 100.000 Euro durch meine Hände gegangen! Was Börsenmagnaten das unwiderstehliche Gefühl von Macht verleiht, beschert mir nur Magengrummeln.

Nun weiss ich, warum ich Theater so mag: Da kann man nicht so viel kaputtmachen. Vielleicht stört mal jemand an einem Abend die Aufführung, aber was solls, dann spielt man einfach weiter. Und hat am nächsten Tag eine neue Chance. Aber wehe, wenn du bildende Kunst fallen lässt, kurz falsch anpackst, Schrammen oder Dellen verursachst! Schon schlimm genug, wenn man den Abzug einer limitierten Fotoserie oder den Abguss einer Skulpturedition beschädigen würde – doch ein Gemälde ist unwiederbringlich!

Mit diesen Gedanken im Sinn traue ich mich kaum, irgend etwas zu berühren. Die Inventur hat zudem noch einen seltsamen Effekt auf mich: Kunst wird zur Alltäglichkeit. Man kann sie anfassen und kaufen. Frueher waren Kunstwerke für mich magisch, unbezahlbar und jenseits aller irdischen Zuordnungen. Hier zwänge ich alles brav in Titel, Künstlername, Herstellungsdatum, signiert / nicht signiert, zu verkaufen / nicht zu verkaufen / verkauft / geliehen…
Kunst ist Ware und muss als solche katalogisiert warden. Es hat eine Weile gedauert, bis ich diese “Kommerzialisierungsphase” überwunden habe und jetzt nicht mehr denke: Wie breit und hoch? Wann angefertigt? Wer? Was für eine Edition und Nummer? Jetzt sehe ich wieder Kunst.

Zu der Katalogisierung kamen allerdings auch die Bilder: Fotografieren macht natürlich Spass. Mit einer hochwertigen Kamera um den Hals fühlt man sich gleich 10 Grad cooler. Ich bin ein Kommentator! Dokumentator! Ich fange das Zeitgenössische ein! Klick! Klick! Klick!
Und dann hat man ein verwackeltes, unscharfes Bild in der Kamera und ist gleich viel weniger cool. Ein Bild von einem Bild zu machen, ce n'est pas une pipe, das ist keine Pfeife! Aber ich habe auch ein paar richtig gute gemacht.

Und neben der Büroarbeit gibt es auch immer einige Highlights, wie zum Beispiel die Eröffnung einer neuen Ausstellung jeden Monat (!) und neulich sogar die erste Auktion!

Freitag, 8. Juni 2007

Working Girl

Ich habe bisher recht wenig über mein Praktikum geschrieben - bis auf die Einführung, da könnte man leicht den Verdacht hegen, ich würde meine Zeit hier eher in Bars, Clubs, Parks oder wer weiss wo verbringen, aber tatsächlich bin ich tagsüber sehr fleissig. Oder versuche es zu sein.

Das morgendliche Szenario sieht meistens so aus: Die Franzosen sind entweder schon auf dem Weg zur Arbeit oder sitzen frisch geduscht im Wohnzimmer/Gemeinschaftsraum auf dem Sofa und checken schon ihre Mails, arbeiten am Computer an ihrer Junior Consulting Company und unterhalten sich mit ihrer chinesischen Sprachpartnerin.

Die Deutsche kriecht total verschlafen im Chewbacca-Look aus ihrem Zimmer und verschwindet im Bad, von wo aus sie später geduscht, aber nicht grade geschniegelt in die Küche rudert, um etwas Essbares abzugreifen. Mal wieder viel zu spät und schon leicht verschwitzt (wofür eigentlich die Dusche?) rennt sie zur U-Bahn und marschiert danach strammen Schrittes vom Hauptbahnhof zur Galerie.

Schliesslich gelange ich zur Moganshan Lu 50: In diesem Art District findet man Galerien, Ausstellungen, Ateliers, alles zum Künstlerbedarf und zur Rahmenanfertigung, Buchläden und Cafés. Mittlerweile hat sich auch das eine oder andere Modegeschäft hinzugesellt – der Kunstdistrikt hat sich allmählich zum Tipp für Touristen entwickelt. Tatsächlich sind die meisten Galeristen nicht aus China – die Top-Galerie ShanghArt wird beispielsweise von einem Schweizer geleitet, das Art Scene Warehouse von einem Kanadier und einem Amerikaner. Mein Chef ist einer der wenigen Chinesen und Künstler, die hier eine Galerie leiten; ansonsten gibt es in meiner Galerie noch eine chinesische und eine englische Kollegin sowie den italienischen Manager.

Eingang zur Moganshan Lu 50, State of Art

Was auffällig ist: Die meisten unserer Kunden kommen auch aus dem Ausland, Amerika, Europa, Australien. Chinesen mit Geld investieren lieber in traditionelle chinesische Kunst und Antiquitäten. Sie interessieren sich zwar sehr für moderne Kunst, aber es hat fuer sie noch nicht den Wert eines Sammlerobjekts oder Statussymbols. Kunstkritiker meinen jedoch, dass die nächste Generation, die im Ausland studiert und dort eine Begeisterung für die dortige zeitgenössische Kunst entwickelt, dann auch chinesische Kunst kaufen wird.

Insgesamt finde ich den Kunstbetrieb hier sehr angenehm. Ich habe mittlerweile von Kollegen oft gehört, dass es andernorts schwieriger ist, fuer Galeristen wie fuer Kunden. Galeristen muessen härter daran arbeiten und viel feinfühliger vorgehen, um Kundschaft für sich zu gewinnen – dafür haben sie oft nur wenige Sekunden.
Hier nehmen sich die Galeriebesucher Zeit, sich alle Bilder genau anzusehen und vielleicht auch mit den Galeristen darueber zu sprechen.

Auch für den Besucher ist es freundlicher: In Deutschland habe ich als Student nie einen Fuss in eine Galerie gesetzt, da ich immer gedacht habe, eine Galerie ist kein Museum. Dort wird Kunst verkauft und nicht gezeigt. Wenn man kein potentieller Kunde ist, hat man dort auch nichts zu suchen. Vielleicht ist das nur mein persönlicher Eindruck von der Galerieszene, vielleicht hätte ich es mal ausprobieren sollen. Allerdings habe ich mir zumindest von einem Amerikaner sagen lassen, dass die Szene in New York / Chelsea schon sehr exklusiv ist.
Hier darf der Besucher sich in Ruhe umschauen, egal ob er Sammler, Student, oder Tourist ist. Nach einer Weile wird er angesprochen und man erzählt ihm etwas über die Ausstellung, wenn er Fragen hat.

Damit sind wir auch schon bei der Frage, die ich bereits öfters gehört habe: Was genau machst du dort eigentlich?


Wein trinken! Finissage der Ausstellung von Island 6 in lauschiger abendlicher Stimmung